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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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behütet und ahnungslos in Sellerichkranz im Nordosten Istlands.
    Bald kam auch Nikodemia zurück und sie aßen schweigsam ihr Abendessen, gekochte Kartoffeln mit Kichererbsen aus der Dose. In der gleichen Nacht lag Elsa wach, wie so oft, den Stein umklammernd, horchend, sich fürchtend. Wie immer lauschte sie Morawenas Atemzügen und als diese plötzlich aufhörten, erschrak Elsa. Sie sprang auf, beugte sich über Morawenas Lager und hielt ihr, ohne zu zögern, den leuchtenden Stein übers Gesicht.
    „Mora!“, rief sie und schüttelte mit der freien Hand ihre Schulter. „Atme!“
    Da erst merkte sie, dass Morawenas Augen offen waren und sie die Hände über der Brust gefaltet hatte. Die Brust hob und senkte sich, jedoch ohne das übliche laute Geräusch. Die Totgeglaubte starrte den Stein an, sein Licht schimmerte in ihren feuchten Augen und sie streckte eine Hand danach aus. Auf halbem Wege ließ sie die Finger wieder sinken.
    „Ich dachte …“, begann sie.
    „Ja, was dachtest du?“
    Morawena konnte es nicht sagen. Sie war zu müde. Nach einer Weile fielen ihr die Augen zu und sie schlief friedlich weiter, so ruhig wie in keiner Nacht zuvor. Elsa blieb neben ihr sitzen, den Stein in der Hand, und ab und zu leuchtete sie Morawenas Gesicht an, um festzustellen, ob sie wirklich noch am Leben war.
    Als es dämmerte, stand Nikodemia auf und fachte die Glut im Ofen an. Es war klamm und kühl im Keller. Da Elsa kaum geschlafen hatte, fühlten sich ihre Gedanken seltsam verschwommen an. Erinnerungen, Wirklichkeit, Zwischenraum, all das lief ineinander, wenn sie sich nicht richtig konzentrierte. In einem dieser verschwommenen Momente richtete sich Morawena halb auf und ergriff Elsas Arm.
    „Elsa!“, rief sie heiser. „Hörst du mich?“
    „Ja“, sagte Elsa.
    „Es kam mir so vor“, sagte Morawena, „als hättest du heute Nacht einen Aeiol in der Hand gehabt …“
    Morawena war abgemagert, ihre Augen hatten rote Ränder und ihre Haut eine ungesunde gelbliche Farbe. Ihre Finger, die Elsas Arm umschlossen, waren hart und kalt. Sie konnte sich nicht lange aufrecht halten und sank zurück auf ihre Matratze. Dabei ließ sie Elsa nicht aus den Augen.
    „Hattest du einen?“, fragte Morawena.
    „Du meinst … einen leuchtenden Stein?“
    Morawena nickte.
    „Ja, so einen habe ich.“
    „Zeig ihn mir!“
    Widerstrebend holte Elsa ihren Stein hervor. Auf der flachen Hand hielt sie ihn der liegenden Morawena unter die Nase.
    „Das ist nicht Anbars Stein“, stellte Morawena fest.
    „Warum?“, fragte Elsa. „Was spielt es für eine Rolle, ob es sein Stein ist?“
    „Wenn es der Stein wäre“, antwortete Morawena, „den Anbar seit seinem Unfall Tag und Nacht mit sich herumgetragen hat, dann wäre er ein alter Freund von mir. Dann hätte ich ihn schon oft gesehen und sein Licht würde aus einer Zeit stammen, die ich vermisse.“
    Elsa fühlte sich schlecht, als sie das hörte. Sie wusste ja, dass der Stein, von dem Morawena sprach, in ihrem Zimmer in der Johangata lag, neben einer ausgetrunkenen Tasse Tee und einem Wecker, der jeden Morgen um 6 Uhr 45 klingelte, so lange, bis die Zeiger weiter wanderten, Monat für Monat, bis die Batterie aufgebraucht wäre. Sie hätte Anbar unbedingt die Adresse sagen müssen, damit er sich den Stein zurückholen konnte.
    „Es ist Anbars Stein“, sagte sie. „Nur eben ein anderer. Er hat wohl viele davon.“
    „Das glaube ich nicht“, sagte Morawena schwach. „Weißt du nicht, wie selten so große Aeiole sind? Und wie wertvoll?“
    „Nein, das weiß ich nicht. Aber er kommt aus einer reichen Familie und kann sich bestimmt ein paar von den Dingern leisten.“
    Ermüdet von Elsas Ahnungslosigkeit schloss Morawena die Augen.
    „In den Hochwelten bedeutet Reichtum nicht, dass man alles haben kann, was man haben will“, sagte Morawena. „Außerdem sind Aeiole nicht dazu da, dass man sie sammelt. Diesen einen Aeiol, den ich meine, hat Anbar kurz nach seinem Unfall vom Bergwerksdirektor geschenkt bekommen.“
    Elsa schwieg bedrückt.
    „Nun ja“, sagte Morawena und öffnete wieder die Augen. „Anscheinend hatte er zwei. Darf ich ihn mal nehmen?“
    Elsa legte den Stein in Morawenas graue Hände. Er hatte eine wundersame Wirkung. Elsa hatte lange genug Morawenas krankes, bekümmertes Gesicht angesehen, um zu wissen, dass gerade etwas Helles, Frohes um ihre Mundwinkel spielte. Auch wenn es kaum zu sehen war. Eine ganze Weile schaute Morawena den Stein an, dann streckte sie

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