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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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jedenfalls nicht so aus. Sie lehnte an der Wand, ein blasses, dem Anschein nach nicht allzu kräftiges Mädchen, das ein Windhauch hätte umpusten können, wären ihre Augen nicht so fest auf die gegenüberliegende Wand gerichtet gewesen. So starr war der Blick aus schwarzen, grundlosen Augen, dass sich der übrige Körper darum herum formierte, geisterhaft, von dunklem Haar umflossen. War das überhaupt ein lebendiges Wesen oder nur das Abziehbild einer Person, die mal existiert hatte? Ein Widerschein, eine Erinnerung? Das grelle Rosarot, das durch die Fenster hereingekrochen war, erreichte nun die Fußspitzen der fremden Elsa, die da saß. Das Bewusstsein wandte sich ab und fand Morawena, die schlief und ganz und gar von rosa Licht bedeckt war.
    Es gab keinen Grund, in diesem kleinen Keller zu bleiben. Es drängte sie in die Freiheit, den weiten Raum, und sie fand ihn außerhalb des Hauses auf der großen Wiese, die von dichtem Wald umgeben war. Deutlich sah sie, wie ein brennend rosafarbener Ball hinter dem frühlingsgrünen Meer aus Bäumen unterging. Das Licht veränderte sich während des Untergangs. Es wurde immer flammender, immer greller, dann auf einmal kippte die Stimmung. Das Licht schwand, weich, doch plötzlich, und am Boden, dort, wo das Gras wuchs, wurde es finster. Hätte Elsa Beine gehabt, um dort zu stehen, so wäre die Finsternis langsam an diesen emporgestiegen. Doch sie war nichts, ein Bewusstsein ohne Körper, das begriff, dass die Dunkelheit nicht komplett werden durfte. Irgendwann, vielleicht erst vor ein paar Augenblicken, hatte sie die Nabelschnur verloren, die sie mit dem Licht und der Wirklichkeit verband. So gab es nichts Greifbares mehr, nichts, das sie anpacken und verändern konnte. Sie konnte nur zusehen, wie es Nacht wurde auf dieser Lichtung, in diesem Wald. Nicht Furcht oder Gespenster waren es, die darin lauerten und sie bedrohten, sondern die Nacht selbst war der Schrecken. Als massives, konzentriertes Etwas kam sie von allen Seiten. Sie war schwärzer als Edons Bart und beklemmender als Teggas Kerker. Böse war die Nacht, schlimmer noch als Gaiupers verdorbenes Herz, und kalt war sie, kälter als ein Käfig in einem Grab unter der Erde. Unausweichlich wollte sie sein, unvermeidbarer als das natürliche Ende aller Dinge. Es nutzte nichts zu fliehen, denn die Nacht war überall, sie stieg an, vom Boden bis zum Himmel.
    Es gab nur einen Zufluchtsort, der ihr einfiel, und der befand sich im Keller. Dort unten fand sie Morawena, die sich etwas zu essen kochte. Das blasse Mädchen mit den schwarzen Haaren fand sie aber nicht. Es war fort. Sie suchte es überall, in jeder noch so kleinen Schublade. Dabei wunderte sie sich, dass Morawena so seelenruhig Eier in eine Pfanne schlug. Eier, die blutig aussahen. Es war Elsa nie bewusst gewesen, dass in Eiern etwas Lebendiges steckte, Tiere oder Menschen oder Herzen, die bluten konnten. Vor allem merkte Morawena gar nicht, wie das Böse durch die Fenster eindrang und jeden Winkel in Besitz nahm. Es gab längst keinen Ausweg mehr.
    „Ich nehme sie mit!“, hörte sie jemanden sagen.
    „Glaubst du, es hilft?“
    „Weiß ich nicht.“
    Sie hätte Morawena gerne gesagt, in welcher Gefahr sie sich befand. Andererseits hätte sich Morawena dadurch auch nicht retten können. Langsam verbrannten die Eier in der Pfanne, während Morawena vor dem Ofen stand und zusah. Als schon weiße Wolken aus der Pfanne aufstiegen, beschloss Morawena, ihre Hand in die heiße Pfanne zu legen. Es zischte und etwas spritzte nach allen Seiten. Mittlerweile tropfte die Schwärze von der Kellerdecke auf Morawena herab und verunstaltete sie. Anders konnte man es nicht nennen. Die Schwärze fraß sich in sie hinein.
    Es gelang Elsa nicht, den darauffolgenden Ereignissen eine Form oder einen Namen zu geben. Zu fremd war das, was passierte. Doch es passierte etwas, die ganze Zeit, und die dunklen Geschehnisse pulsierten und wallten, rissen an ihr und pochten. Sie schlug mit den Armen um sich, als es vorbei war. Sie hatte wieder Arme. Mit denen traf sie Nikodemia im Gesicht, der daraufhin seinen Griff lockerte und sie halb willens, halb aus Versehen, auf die Erde fallen ließ. Das war ein Schlag, ein echter Schlag in einer echten Welt, der durch jeden Knochen und jede Faser Fleisch ging, die Elsa ihr eigen nennen durfte. Und das war beruhigend, unendlich beruhigend. Sie war so froh, dass sie wieder eine feste Form hatte, mit der sie sich blaue Flecken holen

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