Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
desto schlechter würde es ihr gehen.
„Dann müssen wir sie in eine Welt tragen“, sagte Elsa.
„Nein, sie würden uns schnell finden. Wir können uns mit einer Kranken nicht vom Fleck bewegen. Das wäre Selbstmord.“
„Aber wenn wir jetzt in einem toten Winkel sind, dann bräuchten die Möwen doch einige Zeit, um unsere Spuren zu entdecken?“
„Mit Morawena müssen wir ein Tor benutzen. Ich kann sie nicht von Hier nach Irgendwo tragen. Aber die Tore stehen unter Beobachtung. Sobald wir eins benutzen, müssen wir in Bewegung bleiben und unsere Verfolger verwirren.“
„Die Möwen bewachen alle Tore, die es gibt?“
„Nein, nicht alle. Aber die Ganduup tun es vielleicht. Morawena hat mir in Brisa erklärt, dass sie ihre Augen und Ohren überall haben. Sie benutzen Sinne, von denen wir gar nichts wissen. Sie glaubt sogar, dass die Ganduup Gaiupers Scheitern vorausgesehen und eingeplant hatten. Sie sind ein völlig unberechenbarer Feind.“
„Denkst du, sie könnten uns hier finden?“
„Vielleicht täusche ich mich ja“, sagte Nikodemia, „aber ich habe das Gefühl, wir sind hier ausgeblendet. Sie könnten uns nur finden, wenn sie zufällig über uns stolpern.“
„Dann kann Mora also ungestört zugrunde gehen.“
Nikodemia machte ein ratloses Gesicht.
„Keine Ahnung, was wir machen sollen. Ich habe den Eindruck, sie stört es am allerwenigsten. Sie ist nicht gerade lebenshungrig, oder?“
„Nein“, sagte Elsa und musste an Segerte denken. An den Arzt, der Agnes untersucht hatte, bevor sie starb. Er hatte gesagt, er könne sie nicht retten, weil sie nicht leben wolle. Aber wie konnte Elsa Morawenas Lebenswillen anheizen?
Als Nikodemia eine Runde ums Haus drehte, um in den Zwischenraum zu lauschen, setzte sich Elsa neben Morawenas Lager und redete. Sie erzählte ihr von ihrer letzten Begegnung mit Nada. Wie riesig er war, wie löwenhaft seine Mähne, wie massig sein Körper, sodass die Holzdielen der Burg Trotz unter seinen Schritten stöhnten. Sie fragte Morawena, wie Nada früher ausgesehen habe, ohne eine Antwort zu erwarten. Morawena sollte sie nicht falsch verstehen – aber er war doch mittlerweile sehr korpulent und würde einer zierlichen Person wie Morawena, wollte er sie in den Arm nehmen, sicher alle Knochen brechen. Aber Elsa mochte ihn sehr gern, das sollte Morawena wissen. Seine Stimme war etwas Besonderes. Von einer Tiefe und Güte wie keine andere. Vielleicht war er von allen Menschen, die sie bisher angetroffen hatte, der Vertrauenswürdigste. An seinem guten Herzen zweifelte sie jedenfalls nicht.
So redete Elsa und als ihr die Einzelheiten der letzten Begegnung ausgingen, wich sie auf die Vergangenheit aus. Auf das Zusammentreffen in Schloss Hagl, kurz vor der Hochzeit, die dann doch abgesagt worden war, und während der Schlacht, Monate zuvor. Da es sich um kurze Begegnungen handelte, sprang Elsa ein Leben weiter zurück und erzählte, wie sie von Nada bei Feuersand gefunden worden war und wie rührend er sich damals um sie gekümmert hatte. Natürlich, wenn sie sich diese Erinnerungen genauer ansah, so konnte sie erkennen, was für ein starker und ansehnlicher Mann er zu der Zeit gewesen war. Sein Bart war kürzer gewesen, die rote Haarmähne hatte er am Hinterkopf zusammengebunden, so wie es Anbar immer noch tat. Sein gütiges Gesicht war deutlich erkennbar. So stellte man sich einen Schmied vor, der Schwerter für die Götter hämmerte. Doch das Hämmern lag Nada weit weniger als die Lektüre von Büchern. Immer las er, dachte nach, die blauen Augen voller Ideen und Träume, von denen er Agnes das eine oder andere erzählte. In sehr märchenhafter Form, damit sie es begreifen konnte. Am Anfang verstand sie kein Wort, da ihr seine Sprache fremd war. Doch sie lernte schnell und lachte viel mit Nada. In Trotz. Doch später, in Schloss Hagl, hatte Nada nur wenig Zeit für sie und alle Märchen verflüchtigten sich. Die Wirklichkeit, die zum Vorschein kam, war düster und unfreundlich.
Als Elsa merkte, dass sie bald mehr über sich als über Nada sprach, brach sie ihre Erzählung schuldbewusst ab. Ob Morawena ihr überhaupt zugehört hatte, wusste sie nicht. Bei der Gelegenheit fiel ihr auf, dass sie Morawena damals nicht begegnet war. In jenem Sommer, als Agnes nach Hagl gekommen war, waren weder Gerard noch Morawena dort gewesen. Die schlimme Tat, Gerards Ermordung hatte Monate später im Herbst stattgefunden. Da war aus Agnes schon Elsa geworden und die lebte brav,
Weitere Kostenlose Bücher