Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Bescheidenheit üben. Wir dürfen nie so durstig werden wie die Rabendiener, die unbedingt alles haben wollen.“
„Glaubst du Carlos? Du hast den Altjas nie vertraut.“
Er runzelte die Stirn.
„Er ist anders. Er hat sich mit ihnen zerstritten.“
„So wie du?“, rutschte es Elsa heraus, aber Nikodemia konnte kaum wissen, was sie damit meinte.
„Er sagt, dass er ihre Art, mit den gewöhnlichen Raben umzugehen, nicht richtig fand. Aber seitdem er hier ist und die Gefahr kennt und den Schaden, den ein einziger Rabe anrichten kann, da sieht er vieles anders. Im Grunde weiß er auch nicht, wie er es besser machen könnte als die Altjas.“
Elsa hörte kurz auf zu essen und sah Nikodemia gespannt an.
„Das Tor in Feuersand, kennen sie das auch?“
„Nein, sie wissen kaum etwas von hier. Sie ahnen, dass es einen Spalt oder einen Riss im Universum gibt. Aber sie können ihn nicht sehen. Sie meiden alle Bereiche des Zwischenraums, die ihnen gefährlich vorkommen. Dort, wo wir beide hingegangen sind, waren sie noch nie. Nur Carlos hat es aus Neugier dahin verschlagen, schon vor langer Zeit, und ihm ging es genauso wie uns: Er kam hierher und konnte nicht mehr zurück.“
„Dann sind es nur noch achtundneunzig Altjas im Kreis der Hundert?“
„Was weißt du denn über den Kreis?“, fragte Nikodemia überrascht.
„Ach, das ist nur, weil ich mich erinnern kann. An einige Leben, seit Gaiuper dieses Experiment mit mir gemacht hat.“
„Ist das dein Ernst?“, fragt er und starrte sie an. „Waren wir wirklich mal verheiratet?“
Die Art, wie Nikodemia das sagte, ließ darauf schließen, dass er sich das beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Obwohl es Elsa mal ähnlich gegangen war, versetzte ihr diese Reaktion einen Stich. Ihr war Nikodemia so vertraut und sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass es ihm anders ging.
„Ja, sehr oft“, sagte sie, als bedeute das nichts, „aber wir hatten auch keine andere Wahl.“
„Diesmal haben wir eine“, sagte Nikodemia, dem das Gesprächsthema nicht behagte.
„Trotzdem müssen wir zusammenhalten“, erwiderte sie.
Er nickte. Sie dachte, dass es wohl doch so kommen würde, dass sie eines Tages wieder ein Paar wären. Nicht dass sie sich das wünschte, aber so war es bisher immer gewesen. Sicher war es taktvoller, ihm das nicht unter die Nase zu reiben, und auch sonst nicht von den gemeinsamen, vergangenen Leben anzufangen, an die er sich nicht erinnern konnte.
„Wo wasche ich mich jetzt?“, fragte sie. Ihr Bauch war zum Platzen voll und sie war endlich satt.
Nikodemia sprang auf und führte sie in ein Zimmer im ersten Stock, in dem eine Waschschüssel und ein Eimer mit Wasser standen. Ein graublaues Stück Seife lag auf einem sehr hübschen, bunt bemalten Porzellanteller, der einen Sprung hatte und mehrere abgeschlagene Stellen. Auch der Spiegel, der an der Wand hing, hatte kaputte Stellen, doch war sein Metallrahmen liebevoll mit getrockneten Rosen geschmückt worden. Es roch nach Parfüm und an einem Kleiderständer hing ein vielfach geflicktes, doch immer noch recht prächtiges Kleid.
„Das ist Nellis Zimmer, also mach nichts kaputt. Das Kleid rührst du nicht an!“
„Wer ist Nelli?“
„Sie arbeitet hier.“
Er machte die Tür zu und Elsa zog sich aus, um sich zu waschen. Das Wasser war kalt, aber die Seife roch gut. Auf der Fensterbank fand sie auch eine Bürste und einen Kamm. Nachdem sie das Gefühl hatte, wieder einigermaßen sauber zu sein, und auch ihr Kleid wieder angezogen und Flecken daraus entfernt hatte, begann sie, ihre Haare zu teilen und zu bearbeiten, bis sie wieder glatt waren und glänzten. All das machte ihr viel Spaß, sie wusste gar nicht, warum. Vielleicht, weil das Mädchen im Spiegel immer hübscher wurde und sie sich einbilden konnte, dass sie über all die Strapazen der letzten Woche nicht hässlicher geworden war.
„Bist du bald fertig?“, fragte Nikodemia, der ganz plötzlich den Kopf zur Tür reinsteckte. „Wir müssen hier weg sein, wenn der Eimer öffnet!“
Wehmütig legte Elsa die Bürste nach dem wohl hundertsten Strich beiseite und legte noch etwas von Nellis Lippenrot auf, um es dann aber gleich wieder mit dem Ärmel wegzuwischen, da es zu kräftig aussah. Aber die leichte Rötung, die die Farbe auf ihren Lippen zurückließ, machte sich ganz gut. Sie lächelte sich selbst an und ließ es gleich wieder bleiben, weil sie sich selbst noch nie so richtig hatte lächeln sehen und es ihr fremd vorkam.
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