Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
abgeschüttelt hätte. Sie wurde wieder eine Rabenkönigin, ein Geschöpf, das nur tat, was getan werden musste, um zu überleben, ohne jedes Gefühl. Wie damals, als sie von den Schlägern gedrillt worden war, sah sie Angriffe voraus, nahm die möglichen Wendungen des Kampfes in aller Deutlichkeit wahr, war schnell und bedächtig zugleich und konnte das Unentschieden zwischen sich und ihrem Gegner ganz plötzlich doch noch zu einem Sieg für sich entscheiden. Er fiel mit lautem Schrei und sie stürzte in die Tür hinein, die nun frei war. Selbst die Möwenfäden waren zerrissen und wirkungslos. Elsa drehte sich kurz nach Morawena um und sah, wie diese ihrem Widersacher einen Tritt versetzte und mit dem Säbel nachhieb, was ihr aber nur einen kleinen Freiraum verschaffte. Sie lief hinter Elsa durch die Tür, verfolgt von der angeschlagenen Möwe und mindestens drei weiteren Möwen, die durch das Geschrei angelockt worden waren.
Elsa musste wohl oder übe l eine Frau beiseite schubsen, die ihr beunruhigt mit einer Lampe auf dem schmalen Flur entgegenkam. Eine Treppe, die in den Keller führte und von zwei dicken, großen Männern bewacht wurde, dünkte Elsa der richtige Weg zu sein. Da unten wurde gespielt, kein Zweifel, und zwar um Geld und gefährlichere Dinge, auf jeden Fall war es verboten. Nikodemia saß bestimmt mittendrin.
„Halt mal!“, rief der eine Dicke, wenn auch etwas verunsichert, da er es normalerweise nicht mit Mädchen zu tun hatte, die blutige Säbel vor sich hertrugen.
„Lass mich vorbei oder du wirst es bereuen!“, fuhr Elsa ihn an und ihre eigene Stimme war ihr fremd. Sie zischte wie ein Holzscheit im Feuer und ihre Augen glühten bestimmt rot vor Zorn. Es schien nur natürlich, dass der Dicke beiseite trat und sie anstarrte, als sei sie eine verrückt gewordene Kuh mit sehr langen Hörnern. Der andere hatte schon einen Schritt rückwärts gemacht und erklärt, das wild gewordene Frauenzimmer solle ihrem Mann doch ruhig Bescheid geben. Er werde sich da nicht einmischen.
Elsa und Morawena rannten die Treppe hinab, die Möwen dicht hinter ihnen, und boxten sich durch zwei verrauchte Spielzimmer, bis sie die Tür zu einem dritten aufstießen. Dort sahen sie Nikodemia tatsächlich an einem Tisch stehen, direkt neben Hannibal Berger, einem feinen Herrn, den sie auch aus der besseren Gesellschaft kannten.
„Weg! Du musst weg!“, schrie Elsa, kaum dass sie Nikodemia erkannte.
Doch Nikodemia verschwand nicht, sondern zog einen Revolver und feuerte ihn ab. Elsa wandte sich überrascht um. Eine Möwe hatte Morawena in den Schwitzkasten genommen und eine Nadel in der Hand. Doch am Kopf getroffen, ließ die Möwe beide Arme sinken und gab Morawena frei. Die strauchelte. Es ging alles sehr schnell. Nikodemia machte einen Satz auf Morawena zu, packte sie am Arm und zerrte sie ins Nichts. Elsa sah die beiden gerade verschwinden, als sie getroffen wurde. Etwas bohrte sich unterhalb ihrer rechten Brust zwischen ihre Rippen. Es schmerzte höllisch und gleichzeitig wurde Elsa übel. Sie spürte das Gift in ihren Adern, eine Möwe hatte sie am Handgelenk gepackt.
In Elsas Kopf war alles klar. Außerhalb herrschte Chaos, Geschrei und Schmerz, im Inneren waren ihre Gedanken deutlich und ordentlich. Sie wusste, sie durfte nicht aufgeben. Sie musste sich befreien. Mit der freien linken Hand riss sie sich selbst den Säbel aus der rechten Hand, holte aus und traf ihren Gegner am Hals. Blut spritzte in ihr Gesicht, vor ihre Augen schob sich ein schwarzer Schleier, eine drohende Ohnmacht. Die Möwe fiel, doch klammerte sich eisern an ihr fest. Sie wiederum hieb auf den Feind ein, auf seine Hand, die ihr Gelenk umklammerte, bis er losließ. Sie suchte die Lücke, die Lücke im Zwischenraum, die Nikodemia hinterlassen haben musste. Gleichzeitig schubste sie einen Kartenspieler in die Arme der nächsten Möwe, die sich auf sie stürzen wollte. Dann fiel sie. Wenn sie nicht am Gift sterben wollte, musste sie sich verwandeln, denn anders konnte sie den Fremdkörper, der in ihrem Brustkorb steckte, nicht loswerden. Gleichzeitig wusste sie, dass alles verloren wäre, wenn sie im Moment der Verwandlung von einer Möwe gepackt werden würde. Das Loch, die Lücke, das winzige Tor, wo war es bloß?
Krampfhaft versuchte sie ihre Augen offenzuhalten, bis sie einen violetten Punkt fand, der vor ihren Augen mal größer, mal kleiner wurde. Sie warf sich hinein, schon in der Verwandlung begriffen, und schoss hindurch, halb
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