Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
strapaziert waren. Sie hielt ihre Säbel bereit, einen in jede Richtung. Wenn jemand auf sie zugesprungen käme, würde sie zuschlagen. Langsam ging sie vorwärts, umrundete einen riesigen, kegelförmigen Busch und arbeitete sich zum Springbrunnen in der Mitte des Parks vor. Nachts war das Wasser abgestellt, zum Glück, sonst hätte sie gar nichts mehr gehört. Etwas bewegte sich schnell hinter einer Hecke, sie sah es kurz, dann war es weg. Kurz darauf tauchte Morawena auf. Mit zwei Schritten war Elsa bei ihr.
„Die Möwen sind hier“, flüsterte Elsa.
„Bestimmt?“
„Eine habe ich gesehen. Sie konnte springen wie ein Grashüpfer, nur viel höher und weiter. Sie hat mich verfolgt.“
„Einer der Wolt-Brüder!“, sagte Morawena fast tonlos. Sie war so weiß wie die Frauenfigur hinter ihr. „Die können das. Sie haben immer ein Regiment in greifbarer Nähe. Wann war das?“
„Vor einer Stunde.“
„Wir müssen sofort hier weg! Aber die Tore werden schon bewacht sein. Wo steckt Niko?“
„Bei Daneina vielleicht. Weißt du, wo sie wohnt?“
„Ja“, flüsterte Morawena, „in der Südstadt. Fliegen wir?“
Elsa schüttelte den Kopf und hielt ihre Säbel hoch.
„Auf die kann ich nicht verzichten. Ich weiß nicht, ob sie noch da sind, wenn ich mich zurückverwandle.“
„Verstehe.“
„Du fliegst alleine“, sagte Elsa, „ich komme zu Fuß und bringe die Säbel mit. Wir treffen uns in der kleinen Gasse hinter dem Metzger.“
„Ich werde Niko holen. Hoffentlich ist er …“
Sie verstummte, denn nun war eindeutig ein Geräusch jenseits der Hecke zu hören. Sie schauten sich an. Morawena gab Elsa ein Zeichen und flog hoch. So recht hatte sich Elsa noch nicht daran gewöhnt, anderen Raben bei der Verwandlung zuzusehen. Wenn es ihr schon seltsam vorkam, der plötzliche Schatten, dieser blinde Fleck, aus dem eine andere Gestalt hervorging – wie musste es dann einem Menschen vorkommen?
Elsa lauschte. Der Fremde bewegte sich nicht mehr. Sie machte sich keine Umstände, sondern bahnte sich mit ihren Säbeln einen Weg aus dem Park hinaus zu der Gasse, die dem Marktplatz am nächsten war. Von hier aus wollte sie auf der breiten Fuhrstraße Richtung Süden laufen. Da gab es tiefe Gräben am Straßenrand, in denen sie sich verstecken konnte. Aber im Moment steckte sie in einer Gasse mit hohen Mauern zu beiden Seiten. Jemand bog in die Gasse ein, Elsa blieb stehen.
Es war nur ein Dienstmädchen mit einem Korb am Arm. Als es Elsa mit den beiden Säbeln erblickte, ging es rückwärts. Elsa wollte gerade weitergehen, als ein unangenehmer Regen auf sie herabging. Es war kein Wasser, sondern ein Netz aus Möwenfäden, das sich über sie legte und ihr Kälteschauer über die Haut jagte. Im gleichen Moment sprang ein Mann neben ihr auf die Pflastersteine. Sie war vorbereitet. Zwar besaß auch der Angreifer eine Waffe – etwas wie eine Pistole mit einer scharfen Nadel am Ende des Laufs – doch sie war schneller. Mit dem einen Säbel traf sie ihn am Arm, sodass ihm die Waffe aus der Hand fiel, und mit dem anderen Säbel hieb sie ihn nieder. Kalter Kampfgeist hatte von ihr Besitz ergriffen und so dachte sie nicht nach und hatte auch keine Hemmungen, sondern schaltete ihren Gegner effektiv aus, ohne zu wissen, ob sie ihn tödlich verletzt hatte oder nicht. Den ersten Augenblick der Freiheit nutzte sie, um sich von den Zwischenraumfäden zu befreien und wegzurennen, wobei sie es nicht versäumte, sich nach allen Seiten umzusehen, aus Angst, sie könne in eine Falle laufen. Sie erreichte den Marktplatz und nahm zu ihrer großen Verwunderung war, dass zwei Männer vom Militär auf sie zugerannt kamen und sie anbrüllten. Es waren keine Möwen. Es waren Einheimische, die sie für eine Mörderin hielten.
Fassungslos, dass sie mit so etwas Überflüssigem zurechtkommen musste, ja nicht mal wild drauf losschlagen konnte, weil sie keine Unschuldigen in ihre Probleme verwickeln wollte, blieb sie stehen. Die beiden Soldaten schnitten ihr den Weg in beide Richtungen ab und machten Anstalten, ihre Gewehre auf sie anzusetzen, daher kehrte Elsa um und rannte in die Gasse zurück, aus der sie gekommen war. Der Möwenmann hatte sich halb aufgerichtet und hielt sich die blutende Seite. Als er sie kommen sah, zog er ein Messer aus dem Gürtel, doch sie rannte im größtmöglichen Abstand an ihm vorüber und immer weiter, bis sie den Fluss erreichte, in den sie sprang, um sich von ihm südwärts treiben zu lassen. Ein Blick
Weitere Kostenlose Bücher