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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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Vogel, halb Mensch. Wie schon beim letzten Weltenwechsel nahm sie die Spur der Andersartigen auf, die zu ihr gehörten. Sie ahnte, wo ihre Seelenverwandtschaft hingeflogen war, und folgte. Als sie schließlich wie ein schwerer, schwarzer Klumpen in eine Pfütze aus warmem Matsch plumpste, hatte sie jeden vernünftigen Gedanken verloren. Sie merkte nur noch, wie sie von dem Schnabel eines riesigen Vogels aufgelesen und fortgetragen wurde.
     
    Sie fühlte sich elend. Die ganze Zeit während der Flucht war sie ein elendes Stück Gepäck mit einer Wunde in der Brust und Gift im Blut. Das Gift betäubte ihre Krähenfüße, die in der Luft hingen, und ihre Flügelspitzen, die sie sowieso nicht benutzen konnte. Außerdem war ihr übel. Sie sah Welten vorüberziehen, vor allem aber Farbwechsel, wenn sie Tore benutzten oder Strecken im Zwischenraum zurücklegten. Als sie schließlich auf dem Boden einer Höhle abgelegt wurde, konnte sie ihre Füße wieder spüren. Sie nahm wahr, wie sich Morawena über sie beugte und sie untersuchte.
    „Ich hoffe, das Gift ist mit dem Blut herausgespült worden“, sagte Morawena. „Aber die Wunde muss genäht werden. Das war keine Nadel, das war eine vergiftete Speerspitze.“
    „Na, viel Spaß dabei.“
    „Du Witzbold, du musst mir eine Nadel und einen Faden besorgen. Beides muss sauber sein!“
    „Das kann dauern.“
    „Weiß ich. Beeil dich! Alkohol zum Desinfizieren wäre auch nicht schlecht.“
    Schon wurde Nikodemia wieder ein großer Vogel, der viel Wind machte, als er die Höhle verließ.
    „Elsa, hörst du mich?“, fragte Morawena. „Du solltest dich zurückverwandeln. Eine Krähe kann ich nicht zusammenflicken!“
    Elsa hörte es wohl. Aber sie konnte sich nicht rühren. Sie hörte Morawena leise vor sich hinschimpfen und entnahm der Rede, dass sie sich Vorwürfe machte. Sie waren viel zu leichtsinnig gewesen in Fonorr, das war ihre Meinung, und sie hatten sich wie Kinder aufgeführt. Elsa hätte gerne widersprochen. Selbst wenn sie vernünftig und wachsam und unauffällig vor sich hin gelebt hätten, wären die Möwen plötzlich aufgetaucht. Sie konnten schließlich nicht Tag und Nacht zu dritt sein, nur um im Fall eines Angriffs sofort fliehen zu können. Das alles konnte sie nicht sagen, aber sie war der Meinung, dass sie keine großen Fehler gemacht hatten. Keine strategischen Fehler. Aber andere Fehler schon. Die Kämpfe und die Wunden, die es gekostet hatte, zu entkommen, lagen ihr jetzt schwer auf der Seele. Sie hatte ihre Gegner grausam verletzt und in dem Moment, als sie es tat, war es ihr vollkommen egal gewesen. Es lag ihr nicht, Blut zu vergießen. Aber wo wäre sie jetzt, wenn sie es nicht getan hätte? Sie rang schwer nach Atem, was Morawena in Unruhe versetzte.
    „So ein verdammter Mist“, fluchte Morawena vor sich hin. „Wenn doch die nächsten neun Tage schon um wären! Anbar kann uns einen Arzt besorgen, wenn wir ihn treffen!“
    Elsa wollte den Mund aufmachen, um etwas zu sagen, aber sie hatte ja nur einen Schnabel. Die Erkenntnis war so ermüdend, dass ihr die Augen zufielen. Sie schlummerte wohl ein bisschen vor sich hin, jedenfalls erschrak sie, als Nikodemia wieder auftauchte.
    „Wie geht es?“, fragte er. „Warum ist sie immer noch ein Vogel?“
    Diese Frage raubte Morawena die Geduld. Sie packte die Krähe, die Elsa war, und warf sie in die Luft.
    „Werd jetzt ein Mensch, aber sofort!“, befahl sie. „Ich fang dich nicht wieder auf!“
    Das ist bestimmt gelogen, dachte Elsa, als sie so ungemütlich ins Nichts geschleudert wurde. Doch dann kam der Boden auf gefährliche Weise wieder näher und das belebte Elsa. Erst wollte sie mit den Flügeln schlagen, doch das schmerzte zu sehr, und so fing sie den Aufprall mit ihrem menschlichen Körper ab, der alsbald über den Boden rollte.
    „Gut so“, sagte Morawena, drehte Elsa auf den Rücken und öffnete das schwarze Kleid, das diese nun trug. Dort, wo das Geschoss in den Brustkorb eingedrungen war, war es aufgerissen und blutig, doch sonst in besserem Zustand, als es Amandis’ Reisekleid am Schluss gewesen war. Das waren die Gedanken und Feststellungen, die Elsa durch den Kopf gingen, während sich Morawena im Schein einer Öllampe die Wunde ansah.
    „Sieht gar nicht mal so schlimm aus. Gut, dass das Ding so weit außen steckengeblieben ist. Wenn die Wunde gut verheilt …“
    „Du kannst es nähen?“, fragte Nikodemia.
    „Das Nähen selbst ist nicht das Problem. Sie ist das Problem.

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