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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Kramp
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starr stehen blieb. Der Schrecken fuhr ihm durch die Glieder, und beinahe wäre ihm die kostbare Zigarre aus dem Mundwinkel gerutscht. Sein Blick wanderte an dem Hosenbein hinauf, das zu dem Schuh gehörte. Er erkannte eine rote Jacke. Ein Meer von Regentropfen besprenkelte in dem Moment seine Brille, als er versuchte zu erkennen, wer da neben ihm stand. Seine Lippen formten halblaut die Worte: »Wer in Dreiteufelsnamen ...« Aber er konnte nichts erkennen. Er sah nicht, wie die Gestalt einen schweren Hammer hob und ihn für einen Augenblick unschlüssig über ihrem Kopf schwenkte. Er wischte mit dem Finger über sein Brillenglas, verschmierte aber nur bräunliche Lehmschlieren darauf. Er sah nicht, wie der Hammer niedersauste. Er ahnte nur, was jetzt mit ihm passierte, und in diesem endlos scheinenden Moment schoss es ihm durch den Kopf, dass er jetzt doch in diesem verfluchten Kaff bleiben würde, bis sein Leib verfault war, dass das Grab ihn im nächsten Moment gierig und gefräßig verschlucken würde, so, wie Friedhofserde eben immer hungrig war, dass in diesem Augenblick die Kirchturmglocken neun Uhr schlugen und dass er vielleicht ein friedlicheres Ende gefunden hätte, wenn er nicht immerzu in der verdammten Kirche so verdammt viel geflucht hätte. Sollte das nun die Quittung für seinen langjährigen Ungehorsam sein? Sie kam gänzlich unerwartet.
    Beim zweiten Glockenschlag traf der Hammer seinen Schädel genau zwischen den Augenbrauen. Das krachende Geräusch mischte sich unter den prasselnden Regen und das blecherne Läuten der Glocke.
    Pastor Rövenstruncks alter Körper sackte in sich zusammen, erschlaffte, rutschte an den Rand des schwarzen Lochs, in dessen Tiefe sich gluckernd und platschend der Regen sammelte, und stürzte schließlich hinein in die ewige Finsternis.
    Seine Zigarre war ihm im Sturz aus dem Mund gefallen und auf den lehmverklebten Kies vor dem Grab gekullert. Der Mörder trat langsam mit dem Fuß darauf und vollführte eine mahlende Bewegung mit der Sohle, und im selben Moment, in dem sie erlosch, erlosch auch Pastor Rövenstruncks Lebenslicht.
    * * *
    Und noch jemand war in dieser Nacht im strömenden Regen unterwegs.
    Strecker nieste. Er war froh, dass er vorausschauend ein paar dunkle Kleidungsstücke mitgenommen hatte. Genau die waren nämlich gerade jetzt notwendig, weil er beabsichtigte, sich dem Hotel ungesehen von hinten zu nähern. Er hatte Feldmann verloren. Was ja zu erwarten war. Es war ihm unverständlich, wie es dieser Niete immerzu gelingen konnte, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Strecker tröstete sich damit, dass finstere Elemente schon immer ein besonderes Gespür dafür entwickelt haben, wann sie sich irgendwie drücken oder davonstehlen können.
    Das Auto war auch am Hotel nicht wieder aufgetaucht, und Strecker hatte die Situation für passend befunden, Feldmanns Unterkunft einen kleinen Besuch abzustatten. Was ihm zunächst unmöglich erschienen war, hatte sich ihm am Nachmittag, als er wieder einmal wartend das Gebäude umstreift hatte, plötzlich in einem ganz anderen Licht präsentiert: Er hatte zwei Dachdecker dabei beobachtet, wie sie sich mit einigen Rollen Teerpappe, einem Schweißbrenner und einer Leiter an einem kleinen Vordach zu schaffen gemacht hatten. Der pünktliche Feierabend schien der Vollendung ihrer Arbeit allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht zu haben. Die Leiter hatten sie am Sockel des Gebäudes abgelegt, wo sie auf einen erneuten Einsatz am nächsten Tag wartete. Strecker hatte jedoch vor, sie in der Zwischenzeit für gänzlich andere Zwecke zu verwenden. Er hatte entdeckt, dass Feldmanns Zimmerfenster sich in unmittelbarer Nähe des Vordachs befand, und hatte sich ausgerechnet, dass es ihm gelingen müsste, das Vordach zu besteigen, die Leiter nachzuziehen und mit ihrer Hilfe dann schließlich das gewünschte Fenster zu erreichen. Mithilfe der Taschenlampe würde er einen Blick in das Zimmer werfen können, und unter Umständen hätte er sogar die Chance, das Fenster zu öffnen, wenn Feldmann es nicht richtig verschlossen hatte. Feldmann verschloss niemals etwas richtig! Die Haustüre, die Mülltonne, die gelben Säcke mit Plastikmüll, die er wochenlang auf seinem Treppenabsatz deponierte, bis es nach und nach im Treppenhaus begann, verschimmelte Joghurtbecher zu regnen. Strecker nieste in die verregnete Nacht hinein.
    * * *
    Zuerst war alles schwarz. »So schwarz wie deine Seele, Julius«, murmelte Herbie, noch immer

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