Rabenschwarz
bedrohlich und einschüchternd wirkte, weil sie die Arme hob und in ihren Händen etwas Großes, Klobiges führte, das im nächsten Augenblick auf Herbies Schädel niedersauste. Die Finsternis um ihn herum explodierte plötzlich vor leuchtenden Farben, und durch das Gewimmel bunter Lichter und Blitze erkannte er ein letztes Mal Julius, der ein erschrockenes Gesicht zur Schau stellte, und dann war die Dunkelheit wieder die, die sie vorher gewesen war. Nur fraß sie jetzt seine Gedanken auf und hinterließ in Sekundenschnelle nichts als rabenschwarze Leere.
* * *
Als der Fiat aus der Toreinfahrt setzte, hatte Pastor Rövenstrunck sich bereits die gute Havanna entzündet, die Bauer Schlösser stets in begrenzter Menge für seine besonderen Besucher in der obersten Schublade seines Schrankes, gleich neben den Herdbüchern, den Deckformularen und dem Kalender von der Molkerei, in einer kleinen alten Lebkuchendose aufbewahrte.
Sie schmeckte gut, und Rövenstrunck zog gierig daran, während er ins Dorf zurücktuckerte.
»Ein langer Tag«, dachte er bei sich und war an diesem Abend zum ersten Mal ein wenig versöhnt mit sich und der Welt. Eine gute Zigarre und ein prachtvoller Pflaumenschnaps aus Schlössers eigener Destille, da war man doch gleich wieder Mensch.
Er parkte das Auto vor dem Pfarrhaus. Wie sehr hätte er sich eine Garage gewünscht. Aber das ganze Pfarrhaus und der angrenzende Bruchsteinschuppen standen unter Denkmalschutz. Da konnte er noch so sehr betteln und flehen. An Umbau war nicht zu denken. Bei diesen Gedanken verflüchtigte sich seine wohlwollende Laune schneller als der zähe Zigarrenqualm.
Als er ausstieg, spannte er rasch den Schirm auf. Dieses Dreckswetter war ja nun wieder genau das Richtige! Hatte nicht der fette Nücken, der Totengräber, am Morgen irgendwas davon gebrabbelt, dass die Gemeinde ihm wieder besonders viel aufgebürdet hatte? Sechs Beerdigungen in den nächsten Tagen. Das hieß, sechs Gräber ausbaggern, und das hieß dennoch nicht, dass er sich kaputt arbeitete, dieser fette Nichtsnutz. Aber Nücken hatte ihm einen vorgeheult, dass er nun aber das Grab für die Beerdigung Kley schon einmal ausheben müsse, weil er sonst in Zeitdruck geriet.
»Zeitdruck!« Pastor Rövenstrunck lachte verächtlich und blies eine Qualmwolke unter seinem Regenschirm hervor. Da stand jetzt also das Grab noch fast zwei Tage lang offen, und heute Nacht würde es vermutlich randvoll mit Wasser laufen.
Neugierig und mit böser Vorahnung machte sich der Pastor auf den Weg über den nächtlichen Friedhof, um sich das Werk des Totengräbers anzusehen. Es konnte doch nicht angehen, dass er am heutigen Abend ins Bett ging, ohne sich noch einmal zünftig aufzuregen! Ob der Kerl auch alles richtig abgedeckt hatte? Fehlte nur noch, dass ein Kind beim Spielen da reinfiel und absoff oder sich das Genick brach. Die spielten doch immer an der Leichenhalle rum und rauchten heimlich. »Sind ja erst sechs Beerdigungen im Stadtgebiet Bad Münstereifel in den nächsten Tagen! Kommt dann eben noch eine dazu!«, knarzte er und durchschritt die Grabreihen. »Hat er was zu tun, der faule Mistkerl. Muss er eben den Gartenteich bei Schiffers noch ein paar Tage warten lassen!«
Die Schritte seiner blank polierten schwarzen Schuhe mahlten knirschend flüchtige Fußabdrücke in den feinen Kies des Kirchhofs, die sich in Sekundenschnelle mit Regenwasser füllten.
Rechts und links des Weges flackerten die Grablichter in ihren roten Hüllen und erinnerten an Markierungsleuchten, die in der Finsternis den Weg wiesen. Der Pastor nahm die Abkürzung, indem er sich an dem riesigen, verwitterten Grabkreuz des Pastors Bruch vorbeischob.
Dann konnte er in der Dunkelheit die frisch ausgehobene Grabstelle bereits erkennen.
Sah er richtig? Hatte dieser faule Mistkerl etwa gar keine Abdeckung darübergelegt? Als er näher kam, bestätigte sich seine Befürchtung. Der Totengräber hatte jede Menge Schaltafeln und Vierkanthölzer herbeigekarrt, sie jedoch säuberlich neben dem schwarzen, rechteckigen Loch abgelegt, anstatt es mit ihnen zuzudecken.
»Verflucht!« Der Pastor legte unwirsch seinen Schirm zur Seite und bückte sich nach dem Holz. Es dauerte nur wenige Momente, bis er vollkommen durchnässt war. Er griff nach den glitschigen Schaltafeln und schickte sich an, sie wenigstens provisorisch über das Grab zu legen, als er einen Schuh bemerkte, der plötzlich direkt neben seinem rechten Knie auf dem Kies auftauchte und dort
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