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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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kamen, schlug peitschend hoch bis zu den Hüften, spritzte mir ins Gesicht. Ich wusste, er war schon verloren. Im Meer, im Wind, in der Dunkelheit. Irgendwann hörte ich ihn nicht mehr, ich hörte das Tosen der Wellen, ich hörte den Sturm, aber Tonio … hörte ich nicht mehr. Ich weiß nicht, ob er gekämpft hat, ob es schwer gewesen ist oder leicht, ich weiß nur, ich habe ihn irgendwann nicht mehr gehört.«
    Sie schwieg, wandte sich nicht um, stand wie erstarrt an das Fensterbrett gelehnt, die Schwärze vor dem Fenster wohl wie die Schwärze damals über dem Meer.
    Ich erfriere, habe ich gedacht, von Gertruds Worten, ich erfriere jetzt und auf der Stelle. Aber man erfriert nicht so schnell, man hört die Worte und schließt sie ein, verschließt sie in einem Teil des Gehirns, wo sie rumoren und rumoren, bis sie platzen und dich mit ihrer Wahrheit erfüllen. Und dann entkommst du nicht mehr.
    »Wenn es dich tröstet«, sagte Gertrud irgendwann, »wenn es dich tröstet, Hanna, ich hab den Boden unter den Füßen auch verloren. Im gleichen Augenblick wie er. Und so einfach ist das alles gewesen. So leicht. Und ich bin langsam, langsam zurück, Schritt für Schritt, raus aus dem Wasser in den Sand. Da stand ich dann. Lange. Du Riese Meer, habe ich geflüstert, du Riese Meer bist mein Kumpan, mein Komplize, mein Gefährte. Ich habe die Hand gehoben zum Gruß, hinter ihm her, hinter Tonio her.«
    Wieder Schweigen, Atem holen. Die Worte kamen mir ins Gedächtnis, ihre Worte, die sie am Beginn ihres Erzählens gesprochen hatte, am Beginn dieser schrecklichen Wahrheit.
    Blauschwarz, habe ich gedacht, mein Tonio, hat das Wasser dein Sterben durchdrungen und habe es gesehen, habe die Bilder gesehen, Tonio, deinen Kampf, als der Sturm sich über dich hergemacht, dich hin und her geworfen hat, als die Wellen dich überrollt und in die Tiefe gezogen haben, wie du gestaunt hast, als du merktest, dass deine Kraft nicht reichen würde, dass es das Ende sein würde, dass es das Ende war.
    Weinen wollte ich, weinen, mein Tonio, sie hat dich zerstört, um dein Leben gebracht, um mich gebracht. Die Küste, der Strand so weit. Was hast du den schwarzen Sand geliebt.
    Sie fuhr fort, Gertrud fuhr in der Flut des Erzählens fort, sie ließ mir keine Pause. »Ich bin zu dir zurück, Hanna. Ins Haus, ins Zimmer, in dem du schliefst. Das Bett neben dir leer, die Decke zurückgeworfen, das Kissen zerknüllt. Du hast geschlafen, Hanna, hattest nichts mitbekommen von seinem … Weggehen in eine andere Welt, wohin auch immer. Ich bin bei dir sitzen geblieben, habe auf dein Erwachen gewartet, auf den Morgen, habe diesem Strom nachgegeben, der aus mir herauswollte, diesem Tränenstrom, der floss und floss und floss. Endlich das Licht über dem Meer, und plötzlich schrien Leute: Der Deutsche, der Deutsche! Und du, Hanna, du bist wach geworden und bist hoch und warst erschrocken, weil ich auf dem Bett saß, und hast die Stimmen gehört und bist hinaus, hinunter zum Meer, wo die Stimmen herkamen. Sie hatten ihn schon gefunden, schneller, als ich gedacht hatte. Ein Stück weiter an der Küste war er angeschwemmt worden, sie hatten ihn auf eine Bahre gelegt und hergebracht, damit wir ihn identifizieren konnten.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Tiefe«, sagte sie und schien immer noch darüber zu staunen, »die Tiefe hat ihn nicht haben wollen. Ob man ihn im Paradies genommen hat? Glaubst du, Hanna? Glaubst du das?«
    Sie drehte sich zu mir um. Ich sagte nichts, sie nickte. »Du weinst?«
    Da merkte ich erst, dass ich weinte. Ja, ich weinte, Nässe an meinen Augen, in meinem Gesicht, Schleier.
    Langsam sprach sie weiter: »Du bist hin zu ihm, hast dich über ihn geworfen, hast geklagt und gejammert, dein Haar floss wie eine Kupferdecke über ihn. Und mich … mich hat nichts angerührt, nichts, nicht dass er tot war, nicht deine Verzweiflung; nur deine Haare, Hanna, deine Haare, die sich wie ein Mantel über ihn gebreitet haben. Das wird ihn wärmen, hab ich gedacht, auf der langen Reise, die ihm bevorsteht. Hannas Kupferhaare werden ihn wärmen.«
    Sie atmete tief wie nach langer schwerer Arbeit. »Und am nächsten Tag bist du verschwunden«, sagte sie langsam, »Rucksack gepackt, abgehauen, verschwunden. Weg. Weg. Weg.« Sie nickte, wischte mit beiden Händen über ihr Gesicht. »Und ich … war allein.«
    Sie ging zum Kühlschrank, nahm Käse und Wurst heraus, Brot aus der Brotlade, eine Tomate, eine Zwiebel, stellte alles auf den Tisch, ein

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