Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
still.
Er erstarrte, alles für alle Zeit schon festgebannt in seinem Gehirn. Ihr Fallen, ihr Staunen, ihre Stimme, als sie sagte: »Geh nicht. Lass mich nicht so hier, bitte«, ihre Hand, dies bittere Weiß, ihr tränenloses Sterben, das sie wie staunend zur Kenntnis nahm, kein Komma mehr, Punkt.
Er würde warten. Nun. Er würde nichts mehr tun. Nur warten. Bis sie kamen. Sie würden kommen.
75 Tonio hatte sich in jener Nacht wieder einmal auf die Lauer gelegt. Es war ein bisschen zur Manie geworden. Er wusste, er musste das wieder in den Griff bekommen, aber noch gönnte er sich die kleine Sucht nach ihrem Leben. War nicht schlimm, was er tat, fand er. Gab Übleres.
Und sie musste ihm doch eigentlich nur ihre Version der Geschichte erzählen, ihre Version vom Tod seines Vaters, dann würde er verschwinden, sie hätte ihre Ruhe wieder und er würde die andere aufsuchen.
Ja, er hatte in jener Nacht auf der Lauer gelegen. Er hatte alles gesehen. Nun wollte er Kapital daraus schlagen.
Es war wie in einem Taubenschlag zugegangen. Angefangen hatte es schon am Nachmittag, da war plötzlich sie aufgetaucht, sie , die andere, die Rothaarige, die mit den Briefen, die vom Zeitungsfoto, Hanna.
Er war perplex gewesen, hatte damit nicht gerechnet. Schließlich lebte sie weit weg in Frankreich. Was für eine Geschichte, dachte er und musste an sich halten, um nicht laut herauszujubeln, was für ein irrer Wahnsinn. Sein Brief, oder besser der seines Vaters, hatte tatsächlich Wirkung gezeigt.
Immer wieder schüttelte er staunend den Kopf. Was für eine Geschichte hatte er in Gang gesetzt, was für eine verrückte Geschichte.
Obwohl er zweimal hinschauen musste, ob sie es tatsächlich war, Hanna, denn ihre Haare waren ab, ihre roten langen Haare, die er von ihren Jugendfotos und auch von der Zeitung her kannte. Schade, dachte Tonio, schade, sie hatten dieses Bild auf eine ganz eigenartige Weise geprägt, ihm eine wehe Schönheit aufgedrückt, die er nicht näher zu beschreiben vermochte.
Nun also kurzhaarig – ja, er musste zugeben, er war enttäuscht, sie war eine seiner Figuren, mit denen er gerade spielte, die konnten nicht einfach selbsttätig an sich herumexperimentieren, die hatten zu sein, wie er es wollte.
Aber nun ja, er sah ein, dass er nicht alles beeinflussen konnte, er sah es ein, gab sich zufrieden, blieb an ihnen dran, beobachtete weiter.
Sie taten, was Frauen immer taten. Saßen im Garten, redeten.
Von seinem Hügel aus konnte er sie mit dem Feldstecher gut sehen, aber leider nichts von dem verstehen, was sie sprachen. Näher heran jedoch traute er sich nicht. Vielleicht später, beschloss er, wenn es dunkel geworden war, denn dass er jetzt hier ausharren musste, war klar, auch wenn es kühl werden würde in der Dunkelheit und er zu frösteln begann, weil er keine Jacke dabeihatte.
Die Zeit verging langsam. Die Frauen redeten und redeten und irgendwann gingen sie ins Haus. Er suchte die Küche ab und hatte sie wieder. Sie kochten, zumindest sah er, wie Gertrud in einem großen Topf rührte.
Die Zeit zog sich hin, es wurde dunkel, nichts geschah.
Was haben Frauen immer endlos zu quatschen, dachte er, erzählt ihr euch eure Geschichten von damals? Die sollt ihr doch mir erzählen! Aber leider hatte ein Feldstecher keine Lauschfunktion, leider, leider.
Also näher ran, die Dunkelheit machte es möglich.
Er schlich sich vom Hügel herunter, zum Garten, das Tor war wie immer nicht verschlossen, einfache Sache. Er pirschte sich in Richtung Terrasse, von dort würde er schöne Einblicke haben in die Küche, in das Wohnzimmer, das wusste er, er war ja nicht das erste Mal hier, hatte das schon ein bisschen ausgetestet, vielleicht waren Fenster offen, Türen und man konnte … auch hören …
Aber nichts, nada, zero, kein Fenster offen, keine Tür, Scheiße, dachte er, Scheiße, Pech.
Doch … was jetzt?
Stillschweigen? Keine Geschichten mehr?
Keine Geschichten mehr … Gertruds Hand um Hannas und Hanna ließ sich führen, folgte ihr aus dem Zimmer die Treppe hoch.
Hoppla, dachte Tonio auf der Terrasse, zog überrascht die Augenbrauen hoch, hoppla, hoppla, hoppla, neue Perspektiven?
Er lauschte, nichts zu hören oben, Zeit verging, nicht allzu viel, viel, er wusste es nicht, saß und lauschte, überlegte, was das nun war, was das wohl bedeutete, überlegte, ob es Sinn machte, noch zu bleiben, beschloss, dass es keinen Sinn mehr machte, aber plötzlich …
… kam das Auto in die Einfahrt,
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