Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
haben mich ausgetrickst! Und sind jetzt längst über alle Berge!«
Er achtete nicht länger auf Frau Steigermann, er sah nicht mehr, dass sie zufrieden ihre Arme über der Brust verschränkte, er stürmte hinaus auf den Gang, ins Treppenhaus und hörte Franzas Stimme und Felix’ Lachen. Er stürmte die Treppe hoch in den zweiten Stock und hörte, wie Franza und Felix ihm nachkamen, wie sie ebenso zu laufen begannen. Endlich stand er vor der namenlosen Tür und hämmerte dagegen. Mit den Fingerknöcheln, mit den Fäusten.
»Aufmachen«, schrie er. »Aufmachen! Polizei! Öffnen Sie die Tür!«
»Was ist los?«, fragte Franza atemlos und postierte sich, die Waffe im Anschlag. Ihr gegenüber Herz. »Berichte!«
Arthur drehte sich enttäuscht um. »Ich glaube nicht, dass ihr …«, sagte er mit Blick auf die gezückten Waffen der Kollegen, sie registrierten es, steckten sie weg und begannen Nachbarn zu beruhigen, die, durch den Lärm vereinzelt angelockt, auf den Gang gekommen waren. Einen bat Franza, den Hausmeister zu rufen.
Arthur erzählte. Sie hörten schweigend zu.
»Du hast alles richtig gemacht«, sagte Felix, als Arthur geendet hatte.
Franza nickte und klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Alleingänge«, sagte sie, »das ist oberstes Gesetz. Und manchmal geht uns halt einer durch die Lappen.« Und fügte hinzu: »Vorerst!«
Der Hausmeister kam. Das übliche Procedere. Ausweise, die Bitte, die Tür zu öffnen, seine zweifelnden Blicke, die übliche Frage: »Dürfen Sie das überhaupt?«, die übliche Antwort: »Ja, wir dürfen das!«, endlich eine offene Wohnung und immer noch der Hausmeister, der, nun maßlos neugierig geworden, fast gewaltsam weggeschickt werden musste.
Die Wohnung war, wie erwartet, leer, die Kaffeemaschine noch eingeschaltet, die Vögel offensichtlich in Panik ausgeflogen. Die Ermittler fanden trotzdem viel. Sie fanden einen Teil der Geschichte.
48 Tonios Tod. Wir haben ihn lange ausgespart, lange nicht darüber gesprochen. Erst zum Schluss. Erst, als es nicht mehr anders ging.
Es ist September gewesen. Auch damals September. Vor 22 Jahren. Griechenland. Kos. Der schwarze Sand. Wir gruben uns darin ein.
Zurück in Gertruds Küche. Sie hat die letzten Zwetschgen eingekocht. Feine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, während sie in dem großen Topf mit der blubbernden Marmelade rührte. Sie sagte, das müsse sein, sie fliege ja in den nächsten Tagen nach Griechenland in das Haus, ich wisse schon, und davor müsse sie hier alles noch in Ordnung bringen.
Sie war barfuß und trug ein dunkelrotes Kleid, ärmellos, kurz. Ich spülte die Marmeladengläser, trocknete sie ab, stellte sie ihr auf die Anrichte, wir arbeiteten schweigend und konzentriert.
Es war heiß, obwohl fast Mitte September. »Kaffee?«, fragte Gertrud. Ich nickte. Sie kochte Kaffee, sein Duft breitete sich aus. Sie nahm Tassen aus dem Schrank, Milch aus dem Kühlschrank, Zucker von der Anrichte.
Ich habe hinter ihr her gestarrt, glitt mit den Blicken ihren Rücken entlang über die Beine, verharrte im Ausschnitt ihres roten Kleides und hatte das Gefühl, sie berühren zu wollen, wie damals. Ich habe versucht mich an damals zu erinnern, an die Gertrud, die sie war, aber die Unterschiede waren schwer festzustellen. Früher konnte man sie am Gang erkennen, an diesem vorsichtigen, doch zugleich mutigen Gang. Das stimmte immer noch, jedoch, wenn man ihr zu lang in die Augen schaute, ins Gesicht, konnte es sein, dass sie zittrig wurde, konnte es geschehen, dass ihr ein Glas aus der Hand fiel, konnte es sein, dass ihr Lächeln zaghaft wurde und leer.
Marmeladenstunde, hab ich gedacht, wir haben Marmeladenstunde.
Wir schwiegen, hingen unseren Gedanken nach. Glück ist gefährlich, hab ich gedacht. Du klammerst dich daran und es verlässt dich und du weißt nicht, warum. Zufriedenheit ist, was zählt, Zufriedenheit ist Sicherheit.
Und wieder bin ich abgetaucht in meine Erinnerungen.
Gertruds Küche war durchglüht von der spätsommerlichen Sonne des Tages und der Hitze der eingekochten Zwetschgen. Sie stand vor dem Herd, der bekleckert war mit Zwetschgenmus und Zwetschgengelee, und als sie anfing zu putzen und zu schrubben, da wusste ich endlich, dass ich lange nicht an Tonio gedacht hatte und dass er mir aber fehlte, fehlte, fehlte.
Der Abend hing in der Luft und ein Marmeladentropfen in der ausklingenden Schwüle auf Gertruds braunem Knie.
Deshalb also bin ich hier, habe ich gedacht. Deshalb. Um mich zu
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