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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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erinnern. Um wieder eins zu werden mit meinen Erinnerungen an Tonio, an Gertrud, an damals, an alles, was damals geschehen ist. Um eins zu werden mit mir. Wie ein Puzzle, hab ich gedacht, wie ein Puzzle setzt alles sich langsam in mir zusammen. Werde ich es aushalten können?
    »Hast du mir den Brief geschickt, Gertrud?«, hab ich sie gefragt. »Hast du ihn geschickt?«
    Sie wandte sich um, wischte mit dem Handrücken ihr Haar aus der Stirn und ich erinnerte mich, das hatte sie immer so gemacht, immer, und Wärme durchströmte mich und ich wollte zu ihr und sie umarmen.
    Sie musterte mich nachdenklich, als überlege sie, was sie mir sagen wolle und was nicht und dann sagte sie: »Brief? Nein, ich habe dir keinen Brief geschickt, ich nicht, aber ich kann mir denken, wer es gewesen ist.«
    Sie setzte sich zu mir an den Tisch und begann zu erzählen. Von Tonios Sohn, den er mit einer anderen gezeugt haben musste, lange vor unserer Zeit, der nun aufgetaucht sei, auf der Suche nach der Vergangenheit seines Vaters.
    Ich staunte. Ein Sohn? Tonio hatte einen Sohn gehabt?
    Gertrud nickte, als könne sie meine Gedanken erahnen. »Ja«, sagte sie, »einen Sohn.«
    Sie schwieg, ließ mir einen Augenblick Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen. »Ich habe ihn getroffen«, fuhr sie dann fort, »ich habe ihm alles erzählt, was ich weiß, und das ist ja nicht viel. Ich hoffe, dass er uns jetzt in Ruhe lässt. Kommst du mit nach Griechenland? Hanna? Kommst du mit?«
    Mit nach Griechenland? Seit damals war ich nie wieder dort gewesen. Hatte alles verdrängt, alles vergessen, hatte dieses Land gemieden, diese Insel, dieses Meer, ohne zu wissen, warum, wollte wohl dem Unglück nicht auf die Spur kommen.
    »Ja«, sagte ich. »Griechenland. Kos. Warum nicht. Ja, ich komme mit. Vielleicht haben sie noch einen Platz in deiner Maschine, und wenn nicht, komm ich nach. Schadet nicht, diesen Ort noch einmal zu sehen.«
    Dann fiel mir der Brief wieder ein. »Aber wie konnte er an diesen Brief kommen?«
    »Er hat wohl die Wohnung von Tonios Vater geerbt. Und da hat er all das gefunden. Unsere Namen. Fotos. Die Briefe. Tonios Vater hat alles aufbewahrt und sein Sohn hat es gefunden. Kurios, nicht wahr?«
    Ich verstand es trotzdem nicht. Wie konnten Tonios Briefe an mich bei seinem Vater gelandet sein? Gertrud erklärte es mir.
    »Ich habe sie ihm damals geschickt. Als ich unsere Wohnung in München auflöste. Als ich aus Griechenland zurückkam und du irgendwo in der Welt unterwegs warst. Ich wusste nicht, wohin mit all den Sachen. Aber ich konnte sie nicht wegwerfen. Ich konnte es einfach nicht. Also habe ich alles, was Tonio betraf, an seinen Vater geschickt.«
    Schweigen. Ich hab wohl genickt. Die Briefe …
    »Hast du sie gelesen?« Vorsichtig schaute ich sie an, hoffte, dass …, aber wusste im Grunde …
    Sie nickte. »Ja«, sagte sie, »natürlich hab ich sie gelesen. Aber nur deine Briefe. Seine nicht. Aber deine. Und je öfter ich sie las, desto mehr bekam ich das Gefühl, als …«
    Sie brach ab, rang nach Worten.
    »… als wären sie«, fuhr sie endlich fort, »an mich gerichtet. Als hättest du sie mir geschrieben.«
    Mir stockte der Atem. Was sagte sie mir da? Sie schaute mich an, ihre Augen waren undurchdringlich. Ich schüttelte den Kopf. Die Briefe kamen mir ins Gedächtnis, ihr genauer Wortlaut.
     … geliebte hanna … geliebter tonio …
    So haben sie begonnen, unsere Briefe, immer gleich, jeder Brief. Ich erinnere mich wieder.
     … geliebter tonio …
    Dass die Tage leer seien und voller Trübsal. Dass ich ihn erwartete, den Geliebten, mit jeder Faser meines Herzens, wo er bleibe, wo er sei, dass ich mich nach ihm sehnte, dass er mir fehle, sobald er den Raum verlasse, dass sein Körper mein Krug sei, meine Kanne, dass meine Seele sich in ihm finde und mein Herz, dass ich ein flaumig gebild sei ohne ihn, das zerfalle und sich auflöse ohne ihn …
    Staunen breitete sich in mir aus. Was hatte Gertrud gesagt? Als wären sie an sie gerichtet? Als hätte ich sie ihr geschrieben?
    Vehement schüttelte ich den Kopf. Nein, dachte ich, nein, niemals wird es sein, niemals, als wären sie für jemand anderen geschrieben als für Tonio und Hanna in jener Zeit, als unsere Liebe schon ausklang, als sie uns schon auseinandertrug, einen jeden in eine andere Richtung.
    »Nein«, sagte ich laut und entschlossen, »nein, Gertrud, nie wird das so sein, nie. Erhebe diesen Anspruch nicht, das erlaube ich dir nicht.«
    Gertrud zuckte

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