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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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voran, wenn sie durch ihr Bellen einen Fremden am Tor ankündigte. Kaum sah sie meinen Pflegevater, war ihr Körper angespannt, ihre Hinterbeine leicht eingeknickt und die Rute zwischen ihren Beinen eingeklemmt. Sie kroch buchstäblich in sich zusammen. Nach Schlägen saß ich oft bei ihr und versuchte sie mit meinen Streicheleinheiten zu trösten – als Dankeschön schleckte sie mir meine Hand. Mein Herz blutete, wenn ich sah, mit welch einer Brutalität sie geschlagen wurde. Lag sie bereits zusammengekrümmt am Boden, bekam sie auch noch Fußtritte verpasst. War ich im Keller eingesperrt, konnte ich Caya öfters bis nach unten jaulen hören. Ihr Jaulen ging mir durch Mark und Bein und ich war todunglücklich, dass ich eingesperrt war und sie danach nicht mit Streicheleinheiten versorgen konnte. Des Öfteren fletschte sie die Zähne während der Prügelei, und ich hoffte, sie würde eines Tages einen Satz machen und meinen Pflegevater so kräftig in den Hals beißen, dass er an Ort und Stelle verbluten würde.
    Unzählige Male saß ich im Garten hinter dem hohen Holzstapel und schrieb Gedichte, schrieb in Gedanken an meine Eltern, und wie sehr ich sie vermissen würde und ich schrieb Abschiedsbriefe an meine Pflegeeltern. Abschiedsbriefe, in denen ich ankündigte, nach der Schule nicht mehr nach Hause zu kommen. Anschließend zerriss ich diesen Zettel in kleinste Papierschnitzel, damit niemand lesen konnte, was je darauf stand.
    Die Schule war der Himmel auf Erden für mich. Ich war froh, den Misshandlungen für ein paar Stunden entkommen zu können. Auch wenn ich aufgrund meiner altmodischen und ausgewaschenen Kleidung leichte Beute für Hänseleien war. Die Schule war der einzige Ort, in der ich für meine Leistungen, zumindest gelegentlich, gelobt wurde. Anfangs lief ich noch in Hochstimmung mit meinen guten Noten nach Hause. Doch noch schneller als ich nach Hause lief wurde mir klar gemacht, dass es für mich keinen Grund zur Freude gäbe. »Du hast das Blut deiner Eltern. Sie sind Versager und du bist und bleibst auf alle Zeit dieselbe Versagerin« bekam ich als Lob für meine guten Noten. Ich gab alles, was in meiner Macht stand, um irgendetwas Positives zu vollbringen, damit sie mich endlich anerkannten und mich als gleichwertiges Familienmitglied behandeln würden. Doch so sehr ich mich auch bemühte, es war zu wenig.
    Nach der Schule bin ich immer wieder, anstatt gleich nach Hause zu gehen, durch den anliegenden Wald geschlendert. Auf dem Weg zum Wald überquerte ich zahlreiche Wiesen, riss büschelweise Gras aus und nahm sie mit in den Wald. Ich ließ mich mitten im Wald auf dem Boden nieder, beobachtete Ameisen und anderes Getier, streichelte über nasses Moos und malte mit kleinen Holzspänen Bilder in die feuchte Erde. Nach einer Weile nahm ich meine Büschel Grashalme in die Hand, und nachdem ich sie von Ungeziefer befreite, verspeiste ich sie. Die Chancen, dass ich zu Hause Essen bekam, standen fünfzig zu fünfzig. Bekam ich kein Essen an diesem Tag, hatte ich zumindest irgendetwas im Magen, und auch wenn ich ab und an dieses Grünzeug wieder erbrach, hatte ich das Gefühl oder ich bildete es mir zumindest ein, dass mein Hungergefühl dadurch etwas gedämpft war. Eines Tages machte mir allerdings der Bauer einen Strich durch die Rechnung. Als er sah, dass ich wieder einmal quer über seine Wiese schlenderte, dabei sein schönes Grünland zertrampelte, und auch noch büschelweise Gras ausriss, ermahnte er mich, von hier zu verschwinden und das in Zukunft gefälligst zu unterlassen. Nach dieser Abmahnung suchte ich mir eine neue Wiese. Während ich so da saß und meine Grashalme verspeiste, machte ich mir wie so oft Gedanken über mein Leben. Und je öfter und intensiver ich mich damit beschäftigte, desto bewusster wurde mir, dass ich mein Leben bereits im Volksschulalter hasste. Aber noch viel mehr hasste ich meine Pflegeeltern und deren Töchter. Ich hasste es, morgens aufzustehen und ich hasste es, überhaupt am Leben zu sein. Stundenlang saß ich auf demselben Fleckchen Erde und malte mir in meinen Gedanken die schönsten Bilder aus, wie schön es wäre in einer Familie zu sein, die mir das Gefühl gäbe, etwas Wert zu sein. Tagein tagaus musste ich mit ansehen und mir mit anhören, welch liebvolle Eltern meine Klassenkameraden hatten. Eltern, die ihre Kinder umarmten und ihnen einen Abschiedskuss auf die Wangen drückten. Eltern, die sich freuten, ihre Kinder nach der Schule wieder zu sehen.

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