Rabenvieh (German Edition)
Gesichtsausdruck nach zu urteilen, suchte sie nach passenden Worten. Zugegebenermaßen seien meine Pflegeeltern etwas seltsame Leute, wie Antonias Pflegemutter nach einer Weile des Schweigens meinte, und erzählte mir folglich auch, dass es einen Vorfall mit Katarina gab. Ein Vorfall, der durch Katarina selbst nach außen drang. Sie erzählte mir, dass das Mädchen eines Tages an einer Hand blau unterlaufene Finger hatte. Katarina erzählte, dass man ihr diese zu Hause zufügte, als sie dabei erwischt wurde, heimlich aus dem Kühlschrank ein paar Scheiben Wurst zu entwenden. Ich hatte nicht die geringsten Zweifel an dieser Geschichte, denn schließlich ließen mich meine Pflegeeltern schon sehr früh wissen, dass Katarina in ihren Augen eine Diebin war und was sie dagegen unternahmen, um ihr das Stehlen abzugewöhnen. Was aber letztendlich der Auslöser war, warum Katarina von der Behörde abgeholt wurde, wisse sie nicht, wie sie meinte. Viel erfuhr ich also nicht, aber es reichte, um meine Wut, Abneigung und meinen Hass diesen Leuten gegenüber noch weiter zu schüren. Schließlich bot mir Antonias Pflegemutter an, sich mit meinen Pflegeeltern in Verbindung zu setzen, um mit ihnen über meinen heutigen Besuch zu sprechen. Ich hoffte jedoch, dass sie mir das Angebot unterbreiten würde, sich mit dem zuständigen Jugendamt in Verbindung zu setzen und in meiner schier grenzenlosen Verzweiflung hoffte ich zugegebenermaßen auch, dass sie mir vielleicht den Vorschlag machen würde, mich neben Antonia bei ihr aufzunehmen. Stattdessen bot sie mir diese Art von Hilfe an, die ich ohne eine Sekunde des Zögerns ablehnte. Ich wusste, dass meine Pflegeeltern alles bestreiten würden und ich wusste auch, dass ich für mein Ausplaudern bitter bezahlen würde.
Bald darauf ging ich. Antonia vermittelte mir die ganze Zeit über, dass das, was mit ihrer Schwester geschehe, sie ohnehin nicht interessiere und Antonias Pflegemutter schien mit mir und diesen Geschehnissen doch ein wenig »überfordert« zu sein. Tief bestürzt und noch verzweifelter als zuvor, machte ich mich schließlich wieder auf den Heimweg, und da ich um ein Vielfaches verspätet nach Hause kam, erwarteten mich, was sonst, Schläge. Wie so oft in all den Jahren war ich auch an diesem Tag beiden zugleich schutzlos ausgeliefert. Kaum hatte ich das Haus betreten, wurde ich schon in die Küche geordert. Gemeinsam schritten sie an ihr Werk. Meine Pflegemutter packte mich an den Haaren und hielt meine Hände am Rücken zusammen, damit mein Pflegevater ungehindert auf mich einschlagen konnte. Sie versuchten auf diese Weise, wieder an Informationen zu gelangen. Ich jedoch schwieg wie ein Grab. Nichts konnten sie aus mir herausprügeln – all ihre Bemühungen und Folterandrohungen liefen ins Leere. Wie mir im Laufe der Jahre erfolgreich antrainiert, kniete ich mich abschließend vor ihnen hin und sagte zehn Mal laut: »Ich bin ein schlimmes Kind und verdiene nicht, geliebt zu werden.« Mit einem »du Rabenvieh« verschwinde in dein Zimmer und lass dich für den Rest des Tages nicht mehr blicken wurde ich mit einem heftigen Tritt in den Unterleib aus der Küche entlassen. Die zuvor heruntergerissene Kleidung warf sie mir einfach hinterher. Sobald ich in meinem Zimmer war, schob einer von beiden den Riegel von außen vor, sodass ich nicht entkommen konnte. Wenn ich Glück hatte, waren meine Verletzungen nicht so schlimm, dass ich am nächsten Tag die Schule besuchen konnte. Waren sie massiver, blieb ich so lange im Keller eingesperrt, bis ich frei von ersichtlichen Verletzungen war. Im Sommer trug ich bei brütender Hitze andauernd langärmlige T-Shirts oder Sweater, damit man die zahlreichen blauen Flecken und Striemen an den Armen nicht sehen konnte. Ständig war ich im Unterbewusstsein damit beschäftigt, mir nicht die Ärmel hochzukrempeln. Doch für den Fall, dass ich es einmal vergessen könnte, wurde schon frühzeitig gesorgt. Man unterzog mich auch dahin gehend schon frühzeitigen Gehirnwäschen, was ich in so einem Fall zu sagen hatte. Schläge mit dem Besenstiel auf die Hinterseite meiner Beine oder auf den Rücken schmerzten ganz besonders. Mehrmals humpelte ich noch Tage später. In der Schule gab ich als Grund jedes Mal an, dass ich beim Fahrradfahren wieder einmal gestürzt wäre und mir mein Bein verletzt hätte.
Caya, die Schäferhündin meiner Pflegefamilie, erging es kaum besser. Auch sie bekam regelmäßig Fußtritte und Schläge mit der Leine, allen
Weitere Kostenlose Bücher