Rabenzauber
dort eine Spur auszumachen.
Widerstrebend ließ er den Hüter ein.
Er hätte nicht so lange bleiben und sich den neuen Tempel ansehen sollen, dachte der Hüter unglücklich. Aber er hatte noch nie so etwas gesehen wie die Besudelung, die vom Tempel ausging und drohte, ganz Redern zu erfassen. Und er hatte sich Sorgen um Hennea gemacht; der Waldkönig hatte ihm die
Verantwortung für ihre Sicherheit übertragen, und der Tempel hatte nichts Sicheres an sich. Das Geas, das sie band, hatte es ihm unmöglich gemacht zu verhindern, dass Hennea schließlich hineinging, aber er war noch lange geblieben und hatte sich Gedanken gemacht, bis Jes ihn überzeugen konnte, dass Mutter wissen würde, was sie tun sollten.
In Wolfsgestalt suchte der Hüter am Waldrand nach Rinnies Witterung, aber Jes hatte recht gehabt. Sie war Mutter nicht gefolgt.
Er kehrte zurück zur Hütte. Gura duckte sich in einer Unterlegenheitsgeste, aber der Hüter ignorierte ihn. Gura hätte Rinnie nicht allein gehen lassen sollen. Hunde waren keine guten Wachen - man brachte ihnen bei, die Befehle derer, die sie bewachten, zu befolgen.
Rinnies Witterung war wahrnehmbar, aber es fiel dem Hüter schwer, eine Spur von der anderen zu unterscheiden. Für eine solche Arbeit hätte er Lehr gebraucht. Er blieb auf der Verandatreppe stehen, hob den Kopf und warf einen verärgerten Blick auf den Wald; wenn man danach ging, wie lange Hennea vom Dorf bis zu der Stelle gebraucht hatte, wo Papa etwas zugestoßen war, hätten Mutter und Lehr inzwischen zu Hause sein sollen. Als er den Kopf drehte, fing er eine seltsame Witterung auf.
Was hatte Bandor hier draußen auf dem Hof gemacht?
Jes besuchte seine Tante selten - sowohl er als auch der Hüter fanden das Dorf bedrückend. Da waren zu viele Menschen für Jes, und ihre verwickelten Gefühle verwirrten ihn. Für den Hüter gab es dort einfach zu viele mögliche Gefahren. Dennoch, er kannte Bandors Geruch nach Hefe, Salz und Seife.
Das Geräusch rascher Schritte ließ ihn sich an die Seite der Veranda drücken, damit man ihn nicht sehen konnte. Der Wind kam aus der falschen Richtung, also hätte er nicht sagen können, wer da kam, bis Hennea ziemlich nahe war.
Einer ihrer Ärmel war verbrannt, und Brandblasen zogen sich von ihren Fingerspitzen über die feuergeschwärzte Haut bis zu ihrer Schulter. Sie wurde langsamer und taumelte ein wenig, als sie in Sicht der Hütte kam.
»Seraph«, sagte sie. »Jes, seid ihr hier?«
Der Hüter schauderte bei dem Gedanken, was sie in diesen Zustand versetzt haben mochte, obwohl Jes versuchte, ihn mit der Beobachtung zu beruhigen, dass sie sich das vielleicht selbst angetan hatte, denn die Verletzung konzentrierte sich überwiegend auf das Handgelenk, an dem sich das Geas -Band befunden hatte. Hennea roch nach Zorn, Angst und Schmerz, und Jes war müde. Der Wolf fletschte leise die Zähne.
Hennea keuchte, und der Hüter wusste, dass sie seinen Zorn spürte.
»Jes«, sagte sie und kam näher zum Haus. »Jes, ich muss mit dir sprechen. Es ist niemand hier, der anderen wehtun würde. Bitte. Ich muss mit dir sprechen.«
Eine Träne lief ihr über die Wange, und sie wischte sie gereizt ab. »Bitte, ich brauche deine Hilfe.«
Wenn der Waldkönig sie nicht in seine Obhut gegeben hätte, hätte der Hüter sie ignorieren können, aber nun war sie eine der Seinen. Also löste er sich von der Wand der Veranda und zeigte sich, obwohl es Jes lieber gewesen wäre, wenn er wieder Menschengestalt angenommen hätte, denn er wollte sie nicht noch mehr verängstigen. Jes mochte Hennea.
»Jes«, sagte sie und ließ sich von dem riesigen Wolf, der auf sie zukam, nicht verstören. »Hüter, es tut mir so leid. Ich habe euch alle verraten. Ich wusste nicht, was er vorhatte, aber es war trotzdem mein Fehler.«
Es war nicht einfach, einer Wolfskehle Menschensprache zu entringen, aber schließlich gelang es dem Hüter. »Wer?«
»Er hat es geplant«, sagte sie und hielt ihren verbrannten Arm ungeschickt vom Körper weg. »Ich hielt mich für so
schlau, als ich herausfand, dass er mit deiner Familie spielte - aber sein Spiel war hintergründiger, als ich erwartet hätte. Er hat mich hereingelegt, beinahe, als hätte er mich selbst ausgeschickt, Seraph zu finden und ihr zu sagen, dass ich glaube, dein Vater sei nicht getötet worden. Er wusste , dass sie sich umsehen und Lehr mitnehmen würde. Er wusste, dass Rinnie ungeschützt hierbleiben würde. An dich hat er nicht gedacht, er weiß nicht,
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