Rabenzauber
ungefärbte Stoffe oder solche in Erdtönen.
Tier seufzte. »Ich bin froh, dass mich hier niemand kennt, sonst würde ich nur verspottet werden.«
Sie bedeckten seine großartige Buntheit mit einem braunen Umhang und zogen die Kapuze hinunter, um sein Gesicht zu verbergen.
»So«, sagte Myrceria. »Jetzt seid Ihr fertig.« Sie zögerte, und die geschliffene Haltung einer höfischen Hure fiel ein wenig von ihr ab. »Ihr habt uns unsere Arbeit leicht gemacht«, sagte sie. »Jetzt werde ich Euch ein wenig helfen. Die Zauberer werden warten, wenn wir Euch zur Tür bringen. Geht ruhig mit ihnen; sie werden Euch nichts tun. Sie eskortieren Euch durchs Nest - den größten Raum, über den der Pfad verfügt. Heute Abend dient es als Konzertsaal, aber gewöhnlich ist es nur ein Raum, in dem Leute sich versammeln. Die Zauberer werden Euch zu der Bühne am anderen Ende bringen und Euch den Sperlingen vorstellen - und den Raubvögeln, die sich entschieden haben zu kommen.«
Er nahm ihre Hand und beugte sich vor, um sie zu küssen. »Ich danke Euch für Eure Freundlichkeit, Myrceria. Meine Damen.«
Vier Männer in schwarzen Gewändern warteten auf ihn, wie Myrceria angekündigt hatte. Wie er, hatten auch sie die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.
Tier zögerte in der Tür. Er war nicht auf das ängstliche Widerstreben gefasst gewesen, das er beim Anblick der Zauberer verspürte, und auch nicht auf die plötzliche Überzeugung, dass er die knotigen Hände des Mannes neben sich schon mit einem kleinen, blutigen Messer darin gesehen hatte.
Er unterdrückte seine Angst und den Zorn, der ihr folgte. Mit einem dünnen Lächeln stellte er sich in die Mitte der Gruppe.
»Sollen wir gehen, meine Herren?«, fragte er höflich.
Das Nest hatte einen Boden aus breiten Dielen und mehrere Ebenen; die Dielen wurden schmaler, je weiter sie sich der Bühne auf der anderen Seite des Raums näherten.
Der oberste Bereich, wo Tier und seine Eskorte erschienen, wurde überwiegend von einer mit Essen beladenen Theke eingenommen. Hinter der Theke gab es einen Durchgang, aus dem Diener mit Tabletts voller Essen oder Armen voll Bierkrügen kamen.
An der Wand standen ein paar Tische, an denen Männer in weißen Gewändern saßen, die Tier gleichgültig ansahen. Aber die meisten Personen im Raum waren junge Männer in blauen Gewändern, die leiser wurden, als die Prozession an ihnen vorbeikam. Als sie die Bühne erreichten, hatte sich unheimliche Stille über den Raum gesenkt.
Die Zauberer führten Tier auf die Bühne und blieben in der Mitte stehen, wo sie sich wie ein einziger Mann dem Publikum zuwandten. Sobald sie das taten, wurde die Beleuchtung
trüber, und nur noch ein paar Glühsteine erhellten den Rand der Bühne.
Tier blinzelte gegen das seltsame Licht an und sah, dass alle im Raum zu den Stühlen gingen, die vor der Bühne standen. Als sie saßen, ließ ein hohles Dröhnen das ganze Nest schaudern, und in einer Wolke aus Rauch und Magie erschien ein fünfter schwarz gewandeter Mann: Telleridge.
Er stand ohne Kapuze vor der Menge, sodass ihn alle sehen konnten.
»Freunde«, sagte er. »Für einige von Euch wird dies die erste Einführung in die Geheimnisse unseres Pfads sein. Reisendenmagie aus den Händen der fünf Götter.« Er hob die rechte Hand und zeigte einen Gegenstand, der aussah wie ein Morgenstern, aber statt der stachligen Kugel hing am Ende der Kette eine große silberne Eule.
»Eule, die Barde ist«, sagte er.
Der Mann, der links vor Tier stand, hielt einen ähnlichen Gegenstand hoch, aber mit einem Raben statt einer Eule. »Rabe, der Magier ist«, sagte er.
Fünf Götter?, dachte Tier. Wenn sie von den Weisungen ausgingen, dann fehlte ihnen einer. Die anderen Zauberer sprachen von Lerche, Kormoran und Falke, aber es gab keinen Adler. Er hätte ausführlicher darüber nachgedacht, aber dann erinnerte er sich, wo er schon zuvor von den fünf Göttern gehört hatte: beim neuen Priester in Redern. Seraph, dachte er erschrocken, meine Kinder - wen werden sie als Nächstes holen?
Eine Flut von Magie unterbrach seine Sorge.
»Seit Jahrhunderten«, sagte Telleridge, und seine Stimme wurde dank der Magie bis in die hintersten Ecken des Raums getragen, »haben die Reisenden ihre Macht vor uns verborgen - ebenso, wie der Kaiser und die Septs uns ihre Ländereien und Titel vorenthielten und glaubten, uns dadurch machtlos und hilflos zu machen. Aber wir sind die Gefolgsleute des Geheimen
Pfads und der verborgenen
Weitere Kostenlose Bücher