Rabenzauber
dann wieder stärker wurde. Mit dieser leichten Bewegung der Zuschauer war ihr einziger Weg zur Bühne verstellt.
»Die Raubvögel unter euch werden wissen, dass beinahe die Hälfte der Sperlinge, die jetzt hier sind, geheimnisvollerweise sterben werden, statt dass man sie zu Raubvögeln macht. Für einige von euch ist das auch nicht sonderlich geheimnisvoll,
weil ihr zum Tod dieser Männer beitragt. Warum werden so viele getötet? Weil einige von euch bereits über die Kindheit hinausgewachsen sind. Einige erkennen, dass es nicht notwendig ist, mithilfe von noch mehr Zerstörung zu beweisen, was ihr seid - und diese Leute werden die Ersten sein, die die Raubvögel töten lassen. Wie sie es mit diesem jungen Mann neben mir vorhaben, dessen einziger Fehler darin bestand, dass er alte Instrumente mehr liebte, als jüngere Sperlinge zu quälen.«
»Ich war kein guter Kaiser«, sagte Phoran. »Ich habe Menschen enttäuscht, die mich mein Leben lang gern hatten - ebenso, wie ihr es getan habt. Meine Fehler waren überwiegend passiver Art - ich habe eher Dinge nicht getan, als große und schreckliche Taten begangen zu haben. Ebenso wie ihr, zumindest bis heute. Aber wenn ihr heute Menschen wehtut, deren einziges Verbrechen darin bestand, sich von einem Politiker abzuwenden, der verrückt nach Macht ist, dann vollzieht ihr damit einen Schritt, der nicht mehr zurückgenommen werden kann.«
Tier bog den Hals ein wenig und spähte aus seinem nicht zugeschwollenen Auge, um zu sehen, wie Phoran sich bewährte. Etwas, dachte er, etwas war neben den Kaiser getreten. Es beugte sich näher, als flüstere es Phoran etwas ins Ohr, dann verschwand es wieder.
Jes, dachte er. Unruhig schaute er zu den Zuschauern hin, aber die hatten die verschwommene Gestalt offenbar nicht bemerkt.
Phoran holte tief Luft. »Ihr habt heute Abend die Wahl. Ihr könnt euch an die Schwüre halten, die ihr den Meistern des Pfads geleistet habt. Dabei solltet ihr euch allerdings erinnern, dass sie euch keinen Schwur zurückgaben - wie ich es getan habe, als ich Kaiser wurde. Ich schulde euch eine gerechte Anhörung
bei Streitigkeiten, ich schulde euch einen Platz in unserer Gesellschaft, und ich schulde euch einen Kaiser, der es wert ist, ihm zu dienen. Ihr müsst euch jetzt entscheiden.« Er blickte auf und schaute die Menge an. Als er sah, was er gesucht hatte, nickte er einmal. Dann sprach er schnell weiter. »Entscheidet sorgfältig, gegen wen ihr kämpfen wollt, denn dies ist eine Schlacht um die Seele des Kaiserreichs.«
Er hob eines seiner gefesselten Handgelenke, um auf die Wand des Nests zu deuten, und sie löste sich in Gipsstaub und Holzsplitter auf, als hätte er selbst die Magie ausgeübt. Der Lärm und der magische Rückschlag lenkten Tier ab, und er verlor den Zugriff auf seine eigene Magie.
Das Versagen seiner Kontrolle traf ihn wie ein Schlag gegen den Kopf. Es weckte jeden Zoll des vor Schmerzen kreischenden Fleischs, das die Meister geschlagen hatten. Tier schrie auf, und dann wurde ihm schwarz vor Augen. Kampfgeräusche erklangen rings um ihn her, und halb betäubt, wie er war, konnte er sich nicht erinnern, wo er sich befand und was er hier ohne ein Schwert machte.
Die Zerstörung der Wand überraschte Seraph. Eigentlich hatte sie diesen Teil übernehmen sollen, aber da sie nicht über die Menge hinwegschauen konnte, musste ihr das Zeichen entgangen sein - oder Hennea hatte einen geeigneten Augenblick in der Ansprache des Kaisers genutzt.
Verärgert schubste Seraph den hochgewachsenen, kräftigen Raptor, der vor ihr stand. Da sie dazu einen Hauch von Magie benutzt hatte, sprang er mit einem Luftschnappen beiseite und stieß dabei mehrere Männer um, was kurz Seraphs Blickfeld erweiterte, als Avars Männer und die Reisenden mit einem Kriegsschrei hereinstürzten, der in diesem als Theater gebauten Raum noch wirkungsvoller war als auf einem offenen Schlachtfeld.
Das Staunen über die Geschehnisse ließ die Angehörigen des Pfads seltsam lange verharren, bis die ersten von Avars Leuten die Raubvögel getötet hatten, die ihnen am nächsten waren.
Ein Mann nahe Seraph zog sein Schwert, aber er suchte den Feind auf der anderen Seite des Raums, also bemerkte er Seraph erst, als ihr Messer in seinen Bauch drang. Ein Junge im blauen Gewand zog sein Schwert und beendete ihre Arbeit - aber er beäugte ihr weißes Gewand misstrauisch.
»Ich bin Tiers Frau«, sagte sie und warf die Kapuze zurück.
»Eine Ehre, Euch
Weitere Kostenlose Bücher