Rabenzauber
Männer »Du kommst ebenfalls mit. Du kannst mir beim Heilen besser helfen als bei der Jagd auf den Nebelmahr. Bring mir meine Taschen ins Haus.« In ihrer Stimme lag keine Schärfe, aber auch keinerlei Höflichkeit. Aliven war überrascht, als der junge Mann sich respektvoll verbeugte und dann beeilte, zwei große Satteltaschen von dem scheckigen Pferd abzuschnallen.
»Brewydd.«
Die alte Frau hielt inne und sah Tier an.
»Da drin sind auch zwei Kinder, die schon viel durchgemacht haben. Sei nett zu ihnen.«
Die Heilerin lächelte und zeigte dabei überraschend gesunde Zähne. »Ich werde daran denken, Junge.«
Tier wartete, bis die Heilerin Aliven ins Haus geführt hatte, bevor er das Wort ergriff: »Etwas sagt mir, dass wir diesen Nebelmahr nicht so einfach loswerden können.«
Seraph nickte. »Sie sind klug und zäh und nicht leicht zu erwischen.«
»Aber ich habe nie davon gehört, dass sie Menschen umbringen«, wandte Tier ein. »Ich weiß allerdings, dass Leute, die in ihrer Nähe leben, sie lieber in Frieden lassen.«
»Wenn sie jung sind, jagen sie Fische, Frösche und andere kleine Tiere«, sagte Hennea, die ihr Pferd angebunden hatte und gerade wieder zu der Gruppe stieß.
Hennea war ebenso wie Tiers Frau Seraph ein Rabe. Sie sah zehn Jahre jünger aus als Seraph und war zweifellos schöner als sie. Auf ihren Zügen lag ein Friede, den Seraph nie hatte für sich beanspruchen können, da ihr Temperament es ihr einfach unmöglich machte.
»Wenn sie älter werden«, fuhr Hennea fort, »fangen sie an, andere Beute zu suchen. Für gewöhnlich ziehen sie dann zum Meer und jagen dort größere Fische, aber einige wenden sich
auch landeinwärts und leben von Waschbären und Ottern. Ich habe allerdings nie von einem gehört, der Menschen fraß.«
»Die Besudelung durch den Schatten ist Erklärung genug«, sagte Seraph. »Nebelmahre sind nicht ganz so klug wie Menschen. Andererseits haben sie mehrere Jahrhunderte, um zu lernen.«
»Jahrhunderte?«, fragte Tier.
»Nebelmahre werden manchmal älter als vierhundert Jahre«, antwortete Hennea. »Da Jes sagt, dieser sei vom Schatten besudelt, könnte er sogar älter sein. Sie verfügen alle über ein wenig Magie, was wahrscheinlich für ihr langes Leben verantwortlich ist. Einige Zauberer leben anderthalb Jahrhunderte, und mehrere Zauberer aus Colossae wurden sogar vieroder fünfhundert Jahre alt.«
»So sagt man jedenfalls.« Seraph bemerkte Tiers Blick und lachte. »Oh, nicht ich. Eine Weisung verlängert das Leben nicht«, sie warf einen bezeichnenden Blick auf das Haus, in dem Brewydd verschwunden war, »wenn man einmal von Lerchen absieht. Wenn du ein sehr alter Mann bist, Liebster, werde ich eine alte Frau sein.«
Seraph und Hennea begannen, in einem doppelten Kreis um den Brunnen herumzugehen, in dem das Geschöpf angeblich lebte. Hennea nahm den inneren Kreis, Seraph den äußeren.
»Es hat schnell und einfach getötet«, sagte Seraph.
»Es muss schon öfter getötet haben. Lehr könnte es wahrscheinlich zu einem einsam liegenden Bauernhof oder einer kleinen Siedlung zurückverfolgen. Wenn wir ihm nicht hier begegnet wären, würde es vielleicht noch ein paar Jahrhunderte so weitermachen, ehe es die Aufmerksamkeit von Reisenden erregte.«
»Seid ihr sicher, dass es jetzt im Brunnen lauert?«, fragte Tier.
Die Reisenden aus Benrolns Clan hatten sich an einer nicht zu weit entfernten Stelle im Schatten versammelt, um von dort aus zuzusehen. Tier wollte nicht riskieren, dass Seraph gefressen wurde, also war er bei den Raben geblieben, achtete aber genau darauf, ihren Mustern nicht in den Weg zu geraten.
Er behielt den Brunnen im Auge und bemerkte, dass Jes das Gleiche tat. Lehr hatte nicht weit von den anderen Reisenden Posten bezogen, an einer Stelle, wo er den Brunnen gut sehen konnte. Er hatte die Sehne auf den Bogen gespannt und hielt einen Pfeil bereit.
»Hoffentlich«, sagte Hennea, »können Seraph und ich ein Netz errichten«, sie deutete vage auf die Muster, die sie abgeschritten hatten, »um seine Magie einzudämmen.«
»Welche Magie hat ein solcher Nebelmahr denn?«
Hennea zuckte die Achseln. »Es kann ein paar Illusionen schaffen und Wassermagie wirken.«
»Sie sind schon ohne Magie unangenehm genug«, sagte Seraph. »Wir werden versuchen, ihn auf jede erdenkliche Art zu behindern. Am schwierigsten wird es sein, ihn aus dem Brunnen zu holen, denn er weiß bestimmt, dass wir hier sind. Er hat vor nicht allzu langer Zeit
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