Rabenzauber
gefressen, also wird er keinen Hunger haben.«
»Ich habe wirklich nicht vor, in einen Brunnen zu klettern, um dort gegen einen besudelten Mahr zu kämpfen. Was tun wir, um ihn herauszuholen?«, fragte Hennea, klang dabei jedoch nicht sonderlich beunruhigt.
»Feuer ist eine gute Idee«, sagte Seraph. »Und es wird den Brunnen selbst nicht beschädigen.«
»Kann der Mahr nicht einfach untertauchen?«, fragte Tier.
Seraph schürzte die Lippen. »Nicht ohne Magie. Sie können nicht unter Wasser atmen und den Atem auch nicht lange genug anhalten. Wenn ich ihn mit den Flammen schnell
genug erwische, wird er keine Gelegenheit haben, Magie zu wirken.«
Sie blieb stehen, und Tiers Knie sagten ihm, dass das gerade rechtzeitig erfolgte.
»Wir sind fertig mit den Runden«, sagte sie. »Hennea, bist du bereit?«
Er sah nicht, was sie tat, aber er spürte deutlich ihre Magie, die ihn berührte wie ein kühler Wind.
»Ich dachte, ihr braucht für eure Magie keine Rituale«, sagte er. »Ist das nicht der Hauptunterschied zwischen euch und einem Solsenti -Magier?«
»Wir brauchen sie nicht«, sagte Seraph. »Aber manchmal geht es mit ein paar Runen oder rituellen Mustern schneller, einen Schutzzauber einzurichten, als das Gleiche mit reiner Macht zu tun.«
»Sehen wir uns den Brunnen einmal näher an«, schlug Hennea vor.
Als sie näher kamen, zog Tier sein Schwert und folgte Seraph abermals. Hennea hatte einen Wolf an ihrer Seite - Jes verwandelte sich manchmal in ein Raubtier, wenn ihm das passte.
Für Tier sah der Brunnen aus wie jeder andere. Die Hütte war gebaut wie eine kleinere Version der Schmiede, also ein nach einer Seite offener Raum mit drei Wänden, um den Brunnen vor Wetter und Staub zu schützen. Eine feste, etwa bis zu Tiers Taille reichende Mauer aus Schlammziegeln umringte den eigentlichen Brunnen. Bevor die anderen sie erreichten, hatte Jes die Vorderpfoten schon auf den Rand gestellt und knurrte.
»Gut«, sagte Seraph. »Er ist da.« Sie wandte sich Hennea zu. »Ich kümmere mich um das Feuer, du kannst den Nebelmahr übernehmen.«
Hennea behielt für gewöhnlich ihre gelassene Freundlichkeit
unter allen Umständen bei, also war Tier überrascht, so etwas wie Leidenschaft in ihrem Lächeln zu bemerken.
»Es ist immer gut, Pläne zu haben«, sagte sie.
Die Brunnenmauer mochte nicht hoch sein, aber Seraph war immer noch zu klein, also hob Tier sie auf den Rand. Er hielt sie fest, bis sie mit einer Hand den Pfosten erreichen konnte, der das Dach trug.
Sie dankte ihm mit einem kleinen, zerstreuten Lächeln für seine Hilfe, dann schaute sie in das dunkle Loch hinab. Auf der alten Mauer stehend, musste sie den Kopf ein wenig einziehen, um nicht gegen die Decke zu stoßen
Sie war hinreißend.
Ihr mondlichtfarbenes Haar war zu einer kunstvollen Zopfkrone frisiert, die Tier schon bei anderen Reisendenfrauen gesehen hatte. Bis zum vergangenen Monat hatte Seraph immer den schlichteren Stil der Rederni getragen. Aber die hochgesteckten Zöpfe passten zu ihr, dachte er. Sie trug auch die Kleidung der Reisenden: eine weite Hose und eine Tunika, die bis über die Knie fiel.
Hennea war schön, aber Seraph erregte ihn mehr, als es jede Frau, die einfach nur schön war, jemals konnte. Ihre innere Kraft war so erstaunlich, dass ihn ihre geringe Körpergröße manchmal überraschte. Er hatte einmal gesehen, wie sie einen Raum voller zorniger Männer nur mit ihrer spitzen Zunge in Schach gehalten hatte.
Als er sie beobachtete, während sie bebend vor Bereitschaft auf dem Brunnen stand, wie ein guter Jagdhund, der auf das Hornsignal wartet, überfiel ihn plötzlich ein herzzerreißendes Begreifen.
Dies war seine Frau, seine Seraph, die alles aufgegeben hatte, was sie war, um dem endlosen Kampf zu entkommen, den ihr Volk gegen Wesen wie den Nebelmahr ausfocht. Sie hatte ihn in der Hoffnung geheiratet, es würde sie aus Kämpfen
wie diesem heraushalten. Oh, jetzt sagte sie, dass sie ihn liebte - aber er kannte Seraph. Wenn sie nicht gefürchtet hätte, wieder die Pflichten eines Raben übernehmen zu müssen, hätte sie sein Angebot einer Ehe niemals angenommen.
Er hatte immer das Gefühl gehabt, ihr geholfen zu haben, sich vor etwas Schrecklichem zu retten, aber jetzt wirkte sie nicht wie jemand, der gerettet werden musste.
Sie hielt die Hände über den Brunnen, die Handflächen nach unten: Spannung stieg in ihrem Körper auf, von den Zehen bis zu den Fingerspitzen, und das scharfe, funkelnde Gefühl von Magie
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