Rabenzauber
Willen und den alten Silben.
Zwei Jahrzehnte lang war Seraph zu Beginn jeder Jahreszeit nach draußen gegangen, während ihre Familie schlief, und
hatte den Bauernhof umkreist. Sie hatte ihr Blut und ihr Haar in die Erde eingearbeitet und zu einem Bann verarbeitet, der ihre Familie vor Schaden schützen sollte. Mit ihren Worten beschwor sie nun diese Macht zu einer einzigen Tat herauf, die der Höhepunkt all dieser Nächte und all dieser Magie sein würde.
Lehrs Feuer verging vollkommen, und der Troll war verbrannt und geschwärzt, aber noch am Leben. Er brüllte triumphierend und packte Tier fester.
Jemand stieß einen erschrockenen Schrei aus.
»Stirb«, sagte Seraph mit einer so heiseren, tiefen Stimme, dass sie sogar ihr fremd vorkam, so als formte etwas anderes als ihre Kehle das Wort. Es gab in ihr keinen Platz mehr für Zorn oder Angst, keinen Platz für etwas anderes als Macht, während sie den Troll berührte.
Geschwärztes Fleisch verfärbte sich grau und zerriss rings um grasgrüne Knochen. Das Grau wurde zu weißer Asche, die unter der sanften Berührung des Regens zu Boden rieselte und erheblich unsanfter auch von den eisenbeschlagenen Hufen von Scheck getroffen wurde, als das für die Schlacht ausgebildete Pferd seinen Reiter beschützte, wie man es ihm beigebracht hatte.
Seraph holte tief Luft und versuchte, sich wieder zu beherrschen, aber die Macht war zu groß.
»Fass sie nicht an, Lehr«, sagte Hennea. »Kümmere dich um Tier und das Kind. Seraph. Seraph!«
Langsam drehte Seraph den Kopf, um den anderen Raben anzusehen. Hennea musste sich angesichts dieser glühenden Aufmerksamkeit abwenden.
»Was wirst du mit der Magie anfangen, Seraph?« Hennea mochte den Blick gesenkt haben, aber sie klang ruhig und gelassen.
Seraph klammerte sich an diese Gelassenheit. »Es ist zu
viel«, sagte sie. »Es war nicht klug, etwas so Altes mit Worten zu töten.«
»Was wirst du damit anfangen?«
Die Macht, mit der die Worte sie versehen hatten, brannte und fühlte sich gleichzeitig sehr erstaunlich an. Der Troll war alt gewesen, zu alt. Die Macht seines Todes erfüllte sie, zusammen mit der Magie, die sie aus ihren Schutzzaubern gezogen hatte. Zu viel Macht, um sie einfach loszulassen.
»Der Schutzzauber«, sagte sie mit belegter und seltsam tiefer Stimme. »Ich musste sie schützen …«
»Papa?«
Lehrs Stimme brach Henneas Zugriff auf Seraph und erinnerte sie daran, wieso sie den Troll getötet hatte. Vielleicht hatte sie zu spät gehandelt. »Tier? Rinnie?«
Sie drehte sich um und sah Tier an, während Lehr und ein paar mutigere Dorfbewohner die Überreste - die Knochen - des Trolls von ihnen wegräumten.
»Sie sind am Leben.« Hennea klang immer noch ungerührt. »Und das werden sie auch bleiben, wenn du die Magie beherrschen kannst, die sich in dir befindet. Beherrsche dich, Rabe.«
»Pass auf sie auf«, sagte Seraph heiser. Sie konnte den Teil ihrer selbst, der verstand, dass Hennea recht hatte, überhaupt nicht leiden. Sie musste unbedingt diese Magie loswerden. »Ich folge dem Schutzzauber.«
3
S eraph gestattete sich nicht zurückzuschauen, sondern stapfte rasch durch das vom Unwetter halb zerstörte Lager auf ihrem Feld und ignorierte dabei die Leute, die sich ihrerseits beeilten, ihr auszuweichen. Sie starrte zu Boden, um ihnen ihren Blick zu ersparen, bis sie den Wald erreichte, der an den Hof grenzte.
Was hatte sie tun wollen?
Sie blieb lange Zeit stehen.
Sie musste sie schützen … bei Lerche und Rabe, sie war machtkrank! Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Der Schutzzauber. Sie sollte den Schutzzauber neu setzen. Langsam ging sie zu der Stelle, an der er verlaufen war, und kniete sich auf den Boden.
Es gibt zwei Möglichkeiten, Schutzzauber zu setzen. Die Stimme ihres alten Lehrers war so klar, als stünde er hinter ihr. Für eine Nacht genügt ein schlichter Bann, ein Seil, das die Zelte und Wagen umgibt und für ihre Sicherheit sorgt. Aber wenn man sich irgendwo länger aufhält, oder wo die Gefahren größer sind, wird ein Schutzzauber an besten als eine Kette mit miteinander verbundenen Gliedern angelegt, jedes ein wenig anders als das vorangehende, damit die anderen immer noch schützen können, selbst wenn ein einzelnes Glied bricht.
Sie drückte die Hände in den Boden, fing an zu arbeiten und ignorierte die hässliche, flüsternde Stimme, die sie verleiten
wollte, die Macht, die in ihr rauschte, zu behalten. Wenn sie einen Troll mit einem Flüstern töten
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