Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
erinnerte Tier an seinen Großvater und die wunderbaren Konzerte, die er und Ciro, der damals selbst noch Gerber gewesen war, gegeben hatten. Wenn Seraph den alten Mann jemals spielen hörte, wüsste sie, wieso Tier sich nie für einen Barden hielte, in keinem Sinn des Wortes.
    Er setzte sich zu den Männern, die er seit seiner Kindheit kannte, und begrüßte sie mit Namen - es waren alles ältere Männer, Altersgenossen seines Großvaters. Die jüngeren Männer würden später kommen, wenn sie ihre Arbeit und die Aufgaben zu Hause hinter sich gebracht hatten.
    Einer der Männer war in seiner Jugend Soldat gewesen, und Tier verbrachte einige Zeit damit, Geschichten auszutauschen. Der Wirt bemerkte, dass ein neuer Gast gekommen war, und bot Tier ein Bier an. Er nahm es, aber er nippte nur daran, denn das Vergessen, das er suchte, würde er nicht im Alkohol finden.
    Ciro ging langsam von einzelnen Tonfolgen und Bruchstücken zu einem erkennbaren Lied über, und ein zahnloser alter Mann begann zu summen; er war ein wenig unsicher vom Alter, traf aber jeden Ton. Einer nach dem anderen schlossen die anderen Männer sich mit ihrem Gesang an. Tier sang mit ihnen und genoss es, wie die heilende Musik die Gegenwart verblassen ließ.

    Sie sangen ein Lied nach dem anderen. Manchmal warteten sie, während einer von ihnen versuchte, ein paar Takte eines Liedes zu summen, das er vor langer Zeit gelernt hatte, damit Ciro sich erinnern konnte - dieser Mann hatte ein Gedächtnis für Musik, wie Tier es sonst nur bei seinem Großvater erlebt hatte.
    Zum ersten Mal war er froh, zu Hause zu sein.
    »Junge«, sagte Ciro, »sing mit mir ›Die Hügel der Heimat‹.«
    Tier grinste über die Anrede. Sie passte nicht mehr so gut wie damals, als er hinter seinem Großvater hergetrabt war, aber er stand auf und ließ sich von den ersten Takten der Viole in das Lied hineinziehen. Er übernahm die tiefere Stimme des Duetts, den Teil, den sein Großvater immer gesungen hatte, während der warme Tenor des alten Mannes sich zur schwierigeren Melodiestimme erhob. Da er nun ein Duett sang und nicht nur Teil einer Gruppe war, setzte Tier die ganze Macht seiner Stimme ein und erkannte plötzlich überrascht, dass Ciro sich nicht zurückhalten musste. Zum ersten Mal konnte sich Tiers Gesang mit dem des alten Musikers messen. Dann ließen die alten Worte keinen Platz mehr zum Nachdenken. Es war einer dieser magischen Momente, an denen er einfach nicht falsch singen konnte und jede Improvisation und jede Harmonie hervorragend gelang. Als die beiden den letzten Ton hinter sich gebracht hatten, herrschte respektvolles Schweigen.
    »Bei all meinen Wanderungen habe ich so etwas nie gehört. Nicht einmal im kaiserlichen Palast.« Die Stimme eines Fremden brach schließlich in die Stille ein.
    Tier drehte sich um und sah einen Mann von etwa fünfzig Jahren vor sich - gut erhaltenen, sportlichen fünfzig Jahren -, der Kleidung von schlichtem Schnitt trug, die zu einem wohlhabenden Kaufmann oder geringeren Adligen gepasst hätte. Aber irgendwie wirkte er in einer ländlichen Schänke
voller bunt gekleideter Rederni nicht fehl am Platze. Sein eisengraues Haar, eine Spur dunkler als der kurze Bart, war im Nacken auf eine Weise zusammengebunden, wie man es an der westlichen Küste so hielt.
    Er lächelte Tier freundlich an. »Ich habe von diesen alten Schurken schon einiges über Euch gehört, seit Ihr zurückgekehrt seid - und sie haben nicht gelogen, als sie sagten, dass Ihr eine selten schöne Stimme habt. Willon, Kaufmannsmeister im Ruhestand, zu Euren Diensten. Ihr könnt kein anderer sein als Tieragan aus der Bäckerei, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist.« Er streckte die Hand aus, und Tier mochte ihn sofort.
    Als Tier sich wieder hinsetzte, zog der Kaufmann im Ruhestand einen Stuhl heran und setzte sich ihm am Tisch gegenüber.
    Ciro lächelte und sagte mit seiner schüchternen Sprechstimme, die so wenig zu seinem Gesang passen wollte: »Meister Willon hat nahe dem Ende der Straße einen schönen kleinen Laden eingerichtet. Du solltest einmal hingehen und ihn dir ansehen; er ist voll mit Dingen, die er gesammelt hat.«
    »Ihr seid noch zu jung, um Euch aus dem Geschäft zurückzuziehen«, stellte Tier fest. »Und Redern ist ein seltsamer Ort dafür - im Winter wird es in diesen Bergen wirklich kalt.«
    Meister Willon hatte eines dieser Gesichter, die selbst im Ruhezustand zu lächeln schienen - was seinem Grinsen die Wirkung jedoch nicht nahm.
    »Mein

Weitere Kostenlose Bücher