Rabenzauber
tätschelte, und hörte sofort wieder auf damit.
Tiers Mutter und Schwester warteten in einem kleinen Zimmer, das für eine Kranke eingerichtet war. Alinath saß auf einem Hocker neben dem Bett, in dem Tiers Mutter Hof hielt. Das Haar der älteren Frau war ebenso dunkel wie das ihrer Kinder, aber von Spinnweben des Alters durchzogen. Sie war nicht wirklich alt, nicht nach Maßstäben der Reisenden, aber ihre Haut war gelb vor Krankheit.
Beide Frauen sahen Seraph ohne Freundlichkeit an, als Tier sie einander vorstellte.
»Tier sagt uns, dass du kein Zuhause mehr hast, Kind«, sagte Tiers Mutter in übelnehmerischem Ton - als befürchtete sie, dass Seraph sich ihr aufdrängen würde.
»Solange es Reisende gibt, habe ich ein Zuhause«, erwiderte Seraph. »Ich muss sie nur finden. Ich danke Euch für Eure Sorge.«
»Ich habe ihnen gesagt, dass ich dich zu deinem Volk eskortieren werde«, sagte Tier. »Sie kommen nicht in die Nähe von Schattenfall, also könnte das ein paar Monate dauern.«
»Dann werden wir dich gleich wieder verlieren?«, sagte seine Mutter streitsüchtig. »Alinath und Bandor kommen mit der Arbeit nicht nach - jede Woche schuften sie von früh bist spät in der Bäckerei, die dir gehört. Wenn du in ein paar Monaten zurückkehrst, werde ich tot sein.«
So dramatisch das klingen mochte, Seraph glaubte dennoch, dass die ältere Frau vielleicht die Wahrheit sagte.
»Ich kann meine Leute auch allein finden«, sagte sie.
»Hast du das gehört, Tier? Sie ist eine Reisende und findet ihren Weg allein«, sagte Alinath.
»Sie ist sechzehn, ein Mädchen und allein«, erwiderte Tier in scharfem Tonfall. »Ich werde sie zu ihren Leuten bringen.«
»Du warst noch jünger, als du in den Krieg gezogen bist«, sagte Alinath. »Und du warst keine Hexe.« Sie spuckte das letzte Wort aus, als wäre es schmutzig.
»Alinath«, sagte Tier mit sanfter Stimme, und seine Schwester wurde bleich. »Seraph ist mein Gast hier, und du wirst nicht deine Zunge an ihr wetzen.«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen, hier ebenso wie auf der Straße«, warf Seraph ein, obwohl es sie rührte, dass er sie so verteidigte - als könnten die Worte von Solsenti -Fremden ihr wehtun.
»Nein«, sagte Tier mit fester Stimme. »Wenn du uns über Nacht unterbringen könntest, Mutter, werden wir morgen
früh aufbrechen.« Tiers Mutter und Schwester wechselten einen Blick, als ob sie die Situation schon besprochen hätten, als Tier sie allein gelassen hatte, um Seraph zu holen.
Tiers Mutter lächelte Seraph an. »Kind, hast du es eilig, deine Leute zu finden? Wenn du dich entschließen würdest, hierzubleiben, bis ich in die nächste Welt gegangen bin, könntest du vielleicht unser Gast sein, damit wir Tier nicht gleich wieder verlieren, nachdem wir ihn wiedergefunden haben.«
»Eine Reisende könnte schlecht fürs Geschäft sein«, sagte Seraph. »Wie ich schon sagte, es ist nicht nötig, dass Tier mich begleitet. Ich bin durchaus imstande, allein zu meinen Leuten zu finden.«
»Wenn du gehst, wird er dir folgen«, sagte Alinath resigniert. »Es ist vielleicht lange her, seit ich meinen Bruder gesehen habe, aber ich bezweifle, dass er sich dahingehend verändert hat, sein Wort nicht zu halten.«
»Bitte bleib«, sagte seine Mutter. »Die wenigen Leute, die nichts von einem Tisch essen wollen, an dem eine Reisende gesessen hat, werden mehr als ausgeglichen werden durch das neue Geschäft, das uns blüht, wenn Neugierige in die Bäckerei kommen, nur um einen Blick auf dich werfen zu können.«
Seraph glaubte keinen Augenblick, in diesem Haus willkommen zu sein. Aber es bestand auch kein Zweifel an ihrer Absicht, dass sie blieb, wenn dies die einzige Möglichkeit war zu verhindern, dass Tier sofort wieder aufbrach.
»Ich werde bleiben«, sagte sie widerstrebend und spürte, wie ihr eine schwere Last von den Schultern fiel. Wenn sie hierblieb, dann brauchte sie zumindest nicht gegen Dämonen zu kämpfen oder mitanzusehen, wie Menschen in ihrer Nähe starben, weil sie sie nicht hatte beschützen können. »Ich bleibe eine Weile.«
»Wo ist mein Bruder?« Alinaths Stimme klang beinahe anklagend, als vermute sie, dass Seraph Tier etwas angetan hatte.
Seraph blickte auf. Sie war gerade dabei, den unendlichen Vorrat an Mehl zu sieben, eine der ungelernten Arbeiten, die ihr zugefallen waren. Dann schaute sie demonstrativ die leere Stelle neben sich an, wo Tier die letzten drei Wochen damit verbracht hatte, verschiedene Arten von
Weitere Kostenlose Bücher