Rabenzauber
weg, und wir sind wieder da«, sagte er in einem Atemzug. »Wir haben sie nach Redern begleitet. Ich bin froh, dass sie weg sind.«
Seraph zog die Brauen hoch. »Stiefel?«, fragte sie leise. »Ich habe gerade den Boden gewischt und nicht vor, das so bald wieder zu tun.«
Er wich rasch aus dem Haus zurück und setzte sich auf die Veranda. »Alle mussten mich anfassen, anfassen, anfassen. ›Hallo, Jes‹, sagten sie. ›Schön, dass du wieder da bist.‹ Und dann ging es weiter: grabsch, grabsch, grabsch.«
»Das tut mir leid. Du hättest sie bitten sollen, das nicht zu tun.«
»Hennea sagte: ›Hört auf, den Mann anzufassen, ihr Dummköpfe. Es tut ihm weh‹, und sie haben aufgehört.« Er zog einen Stiefel aus und blickte erfreut auf.
»Hennea ist wütend geworden?«, fragte Seraph überrascht.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, sie sagte es nur sehr entschieden. Aber sie darf mich berühren. Das habe ich ihr auch gesagt.«
»Vor allen anderen?«, fragte Rinnie entsetzt.
Seraph musste sich anstrengen, nicht laut zu lachen.
Lehr und Gura kamen auf die Veranda, als Jes mit seiner Geschichte fertig war.
»Hennea wurde rot und stolzierte davon«, ergänzte Lehr. »Papa lachte und erklärte, es sei unhöflich, einer Frau zu sagen, sie könne einen anfassen, wenn andere Leute zuhören. Alle haben Jes gratuliert, weil er ein so hübsches Mädchen gefunden hat.«
»Arme Hennea.« Es fiel Seraph wirklich schwer, sich ihr Lächeln zu verkneifen.
»Wir sollen dir von Papa ausrichten, dass er heute Abend im Dorf bleibt, um Tante Alinath und Onkel Bandor zu helfen. Er wird morgen früh nach dem Backen zurückkommen. Die Bäckerei war in ziemlich schlechter Verfassung. Es sieht aus, als hätte etwas anderes als der Troll dort alles demoliert.«
»Schlimm?«
Lehr schüttelte den Kopf. »Es wirkte, als wären ein paar Kinder eingebrochen und hätten versucht, so viel Unheil anzurichten, wie sie nur konnten. Einer der Töpfe mit Hefe war umgekippt, aber Papa sagt, sie werden sie wohl retten können. Wenn nicht, kann Alinath mit dem Braumeister um neue verhandeln.«
»Was ist mit Hennea?«
Lehr grinste wieder. »Ich nehme an, sie wird bald hier sein. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist, aber sie hat ihre Verlegenheit inzwischen sicher überwunden.«
»Wo wird sie schlafen?«, fragte Jes. »Wir werden ein paar Latten aus der Scheune holen«, meinte Lehr nach kurzem Nachdenken. »Dann können wir Rinnies Teil des Raumes mit einem Rahmen abtrennen, den wir mit Stoff bespannen. Rinnie und Hennea können dahinter schlafen.
Papa hat ohnehin schon davon gesprochen, dieses Jahr so etwas für Rinnie zu machen.«
»Gute Idee«, sagte Seraph. »Und wir haben noch eine alte Matratze in der Scheune. Sie muss nur neu gestopft werden. Du solltest deine Stiefel vielleicht wieder anziehen, Jes.«
Jes seufzte tief und steckte den Fuß in den Stiefel. »›Zieh die Schuhe aus, Jes, du machst den Boden schmutzig.‹ Und dann heißt es plötzlich: ›Zieh sie wieder an, Jes, ich habe Arbeit für dich.‹«
»Es ist für Hennea«, erinnerte Lehr ihn.
Jes seufzte und band sich den Stiefel wieder zu.
4
H ennea kehrte eine Weile später zurück, ein dünnes Buch in der Hand. Seraph, die Guras fröhliches Bellen gehört hatte, kam ihr auf der Veranda entgegen.
»Wir haben keine sonderlich gute Arbeit geleistet, als wir den Tempel durchsuchten«, sagte Hennea, die ein wenig ins Taumeln geriet, als der große schwarze Hund sie zu Hause willkommen hieß. »Platz. Braver Hund. Ja, ich bin hier. Und jetzt geh und leg dich hin.«
»Du warst im Tempel und hast nach einem Weg gesucht, den Schatten zu finden.« Die Missbilligung, die Seraph empfand, war ihr deutlich anzuhören, obwohl es ihr eigentlich nicht zustand, Henneas Verhalten zu kritisieren. Sie war erwachsen und ein Rabe. Es gab keinen Grund, wieso Hennea sich verpflichtet fühlen sollte, erst mit Seraph zu sprechen, bevor sie den Tempel durchsuchte. Und es sollte dort inzwischen ungefährlich sein.
Seraph räusperte sich und sagte: »Ich weiß, dass wir die Rune nicht gefunden haben, die all die besudelten Geschöpfe herbeirief. Ist uns außerdem noch etwas Gefährliches entgangen? Es gab keine Edelsteine mit Weisungen mehr und auch keine umschatteten Gegenstände.«
»Das mit der Rune war ein Fehler«, sagte Hennea. »Ich hätte daran denken sollen, nach so etwas Ausschau zu halten.« Sie hob das Buch hoch, das sie in der Hand hielt. »Und ich hätte ganz bestimmt auch an
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