Rabenzauber
sagte Jes überzeugt.
Lehr schloss die Augen und ließ seinen Körper den Rhythmus des Trabs seiner Stute aufnehmen. Er hatte nie zuvor auf einem solchen Pferd gesessen.
Akavith hatte sie vielleicht für weniger verkauft, als er aus dem Haus eines Adligen erhalten hätte, aber das war immer noch mehr Geld, als Lehr je zuvor in der Hand gehalten hatte.
Die Fuchsstute scheute ein wenig, und Lehr öffnete die Augen, um zu sehen, was sie erschreckt hatte. Er konnte nichts erkennen, beobachtete aber ihre beweglichen Ohren. Etwas befand sich links von ihnen im Wald.
Es hätte etwas vollkommen Unwichtiges sein können. Aber sie waren jetzt schon mehrere Stunden unterwegs, und Seide hatte auf flatternde Fasane und ein erschrockenes Kaninchen erstaunlich überlegen reagiert.
Er bat sie, in Schritt zu fallen, und sie schüttelte widerstrebend den Kopf, bevor sie ihr Tempo zu einem Tänzeln verlangsamte. Siehst du, sagte sie ihm mit jedem stolzen Schritt, ich bin nicht müde, und das hier ist zu langsam.
Lehr atmete ruhig ein und aus, wie Brewydd es ihn gelehrt hatte. Beruhige deinen Geist, Junge. Höre darauf, was deine Sinne dir zu sagen haben.
Dann roch er es, wild und beängstigend: das Ungeheuer, das im Schatten lauerte und einen fressen würde, wenn man nicht vorsichtig genug war.
»Jes«, sagte er und zügelte die Stute, bis sie stillstand. »Was tust du hier?«
Der Wolf erschien unter den Bäumen, als hätte er nur auf Lehrs Ruf gewartet. Seide hob den hinreißenden Kopf und beobachtete ihn, aber Lehr spürte, dass sie sich nicht anspannte. Der Wolf hatte Jes’ dunkle Augen.
»Ich brauche keinen Schutz«, beantwortete Lehr seine eigene Frage.
Der Wolf setzte sich und kratzte sich am Ohr, dann kam er mit einem Schnauben, das vielleicht ein leichtes Niesen gewesen war, wieder auf die Beine. Er trabte zu der Stute, ignorierte Lehr vollkommen und grüßte Seide, indem er ihre Schnauze mit der seinen berührte. Dann trabte er ohne einen Blick zurück den schmalen Jagdweg entlang.
»Verflucht, Jes«, murmelte Lehr, »ich brauche keine Hilfe!«
Der Wolf war hinter einer Biegung des Wegs verschwunden.
»Aber Gesellschaft wäre nicht übel«, sagte er zu der Stute.
Sie schnaubte und sprang in einen Kanter, als er das Gewicht verlagerte. Mit einem freudigen Hochwerfen des Kopfs schoss sie davon wie ein Hase. Als sie an Jes vorbeikamen, gab er ein vergnügtes Kläffen von sich und schloss sich der Jagd an.
Sie brauchten drei Tage, um Colbern zu erreichen.
Wie erwartet, war die Stadt ummauert. Sie wirkte kleiner als Leheigh, aber Lehr nahm an, dass das nur wegen der Mauer so aussah. Der Raum drinnen war eingeschränkt, also wohnten die Menschen dichter beieinander.
Die Stadttore sahen nicht so beeindruckend aus wie die Mauer; sie waren sowohl niedriger als auch weniger stark.
Eine Ramme hätte mit ihnen kurzen Prozess gemacht. Aber es hatte seit Generationen in dieser Region keinen Krieg mehr gegeben, also nahm Lehr an, dass die Tore durchaus angemessen waren. Sie waren fest geschlossen, und behelfsmäßig aussehende gelbe Fahnen hingen über dem oberen Teil und warnten die Durchreisenden, dass die Einwohner gegen eine Seuche kämpften.
Jes legte die Ohren an und knurrte leise.
»Ich rieche es ebenfalls«, sagte Lehr zu seinem Bruder. Es war der Gestank nach Tod - Krankheit und verfaulende Leichen. Er zog die Tunika so hoch, dass sie seine Nase bedeckte, und stieg ab.
Seide schien sich von dem Gestank nicht stören zu lassen, aber sie war auch als Jagdpferd ausgebildet. Blut und Tod setzten ihr nicht so zu wie den meisten anderen Pferden.
»Du solltest lieber ein Mensch sein, Jes, wenn jemand das Tor öffnet.« Bei diesen Worten warf Lehr einen Blick über die Schulter - und fand sich dem ausdruckslosen Menschengesicht seines Bruders gegenüber.
»Ich mag diese Stute«, sagte Jes und rieb Seide unter einem Riemen des verschwitzten Halfters. »Sie ist hübsch.«
Lehr schlug wieder gegen das Tor, aber niemand antwortete. Er machte ein paar Schritte zurück, sprang nach oben und packte die Oberseite des Tors. Dann schwang er die Beine zur Seite, setzte einen Fuß oben aufs Tor, zog sich weiter hoch und rollte schließlich darüber hinweg zur anderen Seite.
Zwei- und dreistöckige Gebäude ragten über schmalen Straßen auf und schufen eine Atmosphäre der Enge, die sich noch schlimmer anfühlte, weil sich nirgendwo etwas oder jemand bewegte. Lehr sah sich misstrauisch um, aber es gab keine
Weitere Kostenlose Bücher