Rabenzauber
berühren zu können, wickelte der Schatten seinen Bann in Geist. Der Geist hatte den Bann vor Seraphs früheren Versuchen, ihn zu entdecken, gut geschützt. Ranken des Bannes waren in das Gewebe von Tiers Weisung eingedrungen und arbeiteten sich noch tiefer in ihn hinein.
Umhüllt von Geist, konnte der Bann die Weisung ebenso binden, wie Tiers eigener Geist es getan hatte. Der Bann hatte sich tief in Tiers Weisung gegraben, aber wo Tiers eigener
Geist passiv war, blieb der Bann es nicht. Er griff die Verbindung zwischen Tier und seiner Weisung nicht einfach nur an, er entriss ihm die Weisung mit Gewalt. Die Strähnen von Tiers Geist wurden nach und nach zerstört, Faden um Faden, wo der Bann des Schattens ihm seine Weisung unweigerlich entzog und nur Fetzen seines Geistes zurückließ.
Seraphs alter Lehrer hätte den Bann für primitiv gehalten, da er mehr Macht als Einfallsreichtum benutzte. Aber wie primitiv er auch immer war, er funktionierte.
Die Geistesmagie des Schattens wickelte sich um die Fäden, die sie gestohlen hatte, und schuf eine Schnur aus Magie, Geist und Bardenweisung, die sich zwischen Tier und wahrscheinlich dem Edelstein erstreckte, an den die Meister des Pfads seine Weisung gebunden hatten. Noch während Seraph zusah, riss ein kleines, dünnes Band von Tiers Geist, fiel vom Orden weg und wurde dabei dunkler. Es kringelte sich schlaff an Tiers Körper.
»Seraph? Lass mich helfen.«
Das war Hennea. Seraph nickte zweimal und spürte, wie der andere Rabe ihr die Hände auf die Schultern legte und ihr Macht zuführte.
Sie hätte versuchen können, Tiers Weisung wieder zu flicken - das hätte sie jetzt besser gekonnt, weil sie wusste, was gebraucht wurde -, aber wie schon zuvor würde ihm das nur kurzfristig helfen. Am Ende würden sowohl ihre Magie als auch Tiers Geist nachlassen, und wenn er erst über alle Heilmöglichkeit hinaus geschädigt war, würde er sterben.
Stattdessen bewegte sich Seraph also mithilfe von Henneas Kraft an der gedrehten Schnur entlang, die Tier und den Edelstein des Pfads verband - sie gab alles, was sie hatte, Magie, Geist und Seele. Sie verlor jegliches Zeitgefühl, bis ihre Reise ihr endlos vorkam. Nur ihre wilde Entschlossenheit, das Ende der Schnur zu finden, ließ sie durchhalten.
Dann hatte sie plötzlich das Gesuchte vor sich: einen zimtfarbenen Edelstein. Graugrüne Ranken der bardischen Weisung bildeten ein festes Knäuel mitten im Stein, und ein paar Fragmente von Tiers Geist waren immer noch damit verbunden. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das Gestohlene zurückholen sollte.
Für ihr magisches Ich wirkte der Edelstein riesig, aber sie wusste, dass er in Wahrheit klein genug war, um in einen Ring oder einen Halsschmuck eingesetzt zu werden.
Ich kann ihn mir nehmen, dachte sie. Sie hielt den Stein nun mit ihrer Magie umschlungen - wenn sie sich nur ein klein wenig stofflicher machte, würde sie ihn einfach stehlen und mit zurücknehmen können.
Was sie vorhatte, war nicht ungefährlich. Sie würde sich vielleicht dort wiederfinden, wo der Edelstein war - und sie würde es nicht allein mit dem Schatten aufnehmen können. Oder vielleicht würde es ihr auch nicht gelingen, fest genug zu werden, um den Stein zu nehmen, aber zu fest, um zu ihrem Körper zurückzukehren.
Noch während sie zögerte, pulsierte die Schnur und drehte sich, und das Knäuel mit Tiers Weisung im Edelstein wurde noch ein klein wenig größer.
Seraph hatte so etwas noch nie zuvor getan, aber ein Rabe brauchte an Möglichkeiten nur zu denken, und dann eilte sich die Magie, die Muster auszufüllen, die sie vorgezeichnet hatte. Einen Augenblick entzog sich der Stein ihr noch, als fürchte er ihre Berührung, aber schließlich konnte sie die Finger um den von Macht gewärmten, scharfkantigen und glattseitigen Granat biegen.
Er gehörte ihr. Einen Moment lang hielt sie ihn einfach nur fest, so verblüfft war sie, dass es funktioniert hatte. Dann benutzte sie ihre Magie und sah mit deren Hilfe sowohl den Bann als auch die Macht, die ihr gestattet hatte, der Spur des
Schattens zu folgen. Sie kehrte zu sich zurück, und das Erste, was sie hörte, war Tiers Aufschrei.
Sie brauchte kostbare Zeit, um zu begreifen, wieso der Stein wärmer wurde, bis er heiß in ihren Händen war - Momente, in denen er noch mehr von Tiers Weisung an sich zog. Dass der Granat ihm jetzt so nahe war, erhöhte die Wirksamkeit der diebischen Magie nur.
»Haltet ihn, damit er sich nicht wehtut.« Die Stimme des
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