Rabenzauber
Gelehrten hatte sich ein wenig verändert und klang nun tiefer, was seinen Befehlen mehr Gewicht verlieh.
Hennea nahm die Hände von Seraphs Schultern und umfasste stattdessen ihre Hände.
»Lass mich es schützen, Seraph«, sagte Hennea.
Seraph öffnete die Hände und ließ Hennea den Edelstein berühren. Ein schlichter Schutzzauber hätte einfach die Verbindung zwischen Tier und dem Stein getrennt, und sie war zu müde, um sich etwas anderes auszudenken. Sollte Hennea die benötigte subtilere Magie einsetzen.
»Der Stein hat schon zu viel von seinem Geist und seiner Weisung aufgenommen«, stellte Hennea besorgt fest und zeigte damit, dass sie die Situation ebenso gut verstand wie Seraph.
»Du kannst es erkennen?«, fragte Seraph, dann dachte sie: Selbstverständlich kann sie das. Seraph versuchte immer noch, die Auswirkungen dessen zu begreifen, wer und was Hennea gewesen war. Vielleicht hatte sie Tier mit ihrem zögernden Vorgehen in Gefahr gebracht. Wenn sie es nur Hennea hätte versuchen lassen - Hennea, die einmal die Göttin der Magie gewesen war. Vielleicht hätte sie den Bann des Schattens wirklich rückgängig machen können.
»Ich bin deiner Magie gefolgt und habe mich erinnert.« Hennea ließ Seraph los und trat zurück. »Bevor ich sah, was du tatest, hätte ich es nicht selbst tun können. Mein Schutz
um den Stein sollte eine Weile verhindern, dass er Tier noch mehr wehtut. Aber es ist keine dauerhafte Lösung. Ich weiß nicht, wie ich den Bann des Schattens rückgängig machen könnte.«
»Ich ebenso wenig«, gab Seraph zu und streckte die Hand aus, um Tiers Gesicht zu berühren. »Jedenfalls noch nicht.«
Tier schlug die Augen auf, als sie ihn berührte. Er lächelte sie an, dann schaute er zu Phoran, der auf Tiers Beinen saß, und zu Jes und Kissel, die seine Arme hielten.
»Schon gut, ihr könnt mich loslassen«, sagte er. »Ich bin jetzt in Ordnung … das denke ich jedenfalls.«
Sie warfen Seraph einen Blick zu und warteten auf ihr Nicken, bevor sie Tier losließen.
»Letztes Mal dachten wir auch schon, er wäre damit fertig«, sagte Phoran entschuldigend. »Er blieb eine kurze Weile ruhig liegen, dann fingen die Krämpfe wieder an.«
»Diesmal dachte ich wirklich, du würdest zerbrechen.« Lehrs Stimme war angespannt, als er seinem Vater aufhalf.
Tier bewegte vorsichtig die linke Schulter. »Nein, nichts so Dramatisches - ich habe mir wahrscheinlich nur einen oder zwei Muskeln gezerrt.« Er blickte auf zu Seraph und lächelte ironisch. »Du hast heute wirklich etwas gelernt. Gewöhnlich fühle ich mich nach diesen Anfällen schlechter statt besser. Was hast du getan?«
Seraph öffnete die Hand, sodass er den Edelstein sehen konnte. Vorsichtig griff er nach dem ungefassten, rostfarbenen Granat.
»Sie hätten wirklich einen hübscheren Stein finden können«, meinte er, und als er Seraphs Gesicht sah, zog er sie an sich, damit sie ihre Tränen an seiner Schulter verbergen konnte.
»Ich hätte dich beinahe verloren«, flüsterte sie. »Beinahe.«
»Ich bin hier«, erwiderte er. »Ich bin hier bei dir.«
Sie ließ sich von ihm trösten, aber sie konnte sehen, wie die Überreste seiner zerbrechlichen Weisung immer noch von dem Stein in ihren Händen angezogen wurden.
Phoran entzog sich schließlich dem Chaos der allgemeinen Besprechung, die Tiers Beinahe-Tod folgte. Rinnie brauchte den Kaiser nicht mehr, sie klammerte sich an ihren Vater. Und Phoran, der weder Reisender noch Magier war, konnte nichts zu der Diskussion beisteuern, bei der es im Augenblick darum ging, wie man den Schatten zerstören konnte.
Er wusste, sie würden ihn nicht lange allein lassen, obwohl Toarsen und Kissel wirklich fasziniert von dem Gedanken waren, einem Zauberer gegenüberzustehen, der schon alt gewesen war, als das Kaiserreich gerade erst ein Aufblitzen im Auge des schlauen alten Bauern gewesen war, der schließlich zum ersten Phoran wurde.
Phoran ging ein paar Schritte vor die Bibliothek und genoss die Stille der alten Stadt. Ein Sonnenuntergang, im Vergleich mit den Sonnenuntergängen in Taela bleich und gedämpft, erhellte den Himmel im Osten.
Phoran war davon ausgegangen, dass er sich auf dieser Reise eigentlich daran gewöhnt hatte, erstaunliche Dinge zu erleben - ein einsamer Berg, heimgesucht von Geistern, eine legendäre, in der Zeit erstarrte Stadt, ein Zauberer, der älter war als das Kaiserreich -, aber Seraph hatte ihm gerade das Gegenteil bewiesen.
Es war nicht die Magie. Er war
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