Rabenzauber
zwar sicher, dass sie etwas getan hatte, um Tier zu helfen, aber er selbst hatte es nicht sehen können. Er hatte schon öfter bemerkt, dass Seraphs Magie weniger auffällig war als die der Hofmagier - wahrscheinlich, weil Seraph keinen Förderer beeindrucken musste.
Nein, was Seraph getan hatte, war sogar noch bemerkenswerter als ihre Magie - jedenfalls aus Phorans Perspektive.
»Stell mich deiner Familie vor«, hatte der alte Zauberer gebeten - und offensichtlich erwartet, dass Seraph nur allen anderen ankündigte, wer Hinnum war. Phoran kannte sich mit Hofzauberern und ihrer Denkweise aus. Hinnum hätte nie daran gedacht, dass Seraph seine Aufforderung wörtlich nehmen würde.
»Das hier ist meine Familie«, hatte sie gesagt.
Das hatte sie nicht ernst gemein. Sie konnte es einfach nicht ernst gemeint haben. Tier hätte das sicher getan, aber Phoran kannte inzwischen viele von Rinnies Geschichten und wusste, dass Tiers Verhalten gegenüber den Sperlingen nichts Neues gewesen war. Er adoptierte alle Streuner, die ihm begegneten, ob sie nun große schwarze Hunde oder linkische, liederliche Kaiser waren.
Phoran wusste , dass Seraph es nicht ernst gemein hatte, aber die Erinnerung an ihre Worte stellte dennoch eine Kostbarkeit für ihn dar. Seit sein Onkel gestorben war, wusste er, dass er allein war. Oh, da war Avar, aber Avar gab Phoran nicht das Gefühl, in Sicherheit zu sein und … und geliebt zu werden. »Meine Familie«, hatte sie gesagt, als sei Phoran eins ihrer eigenen Kinder.
Er hörte, dass jemand aus der Bibliothek kam, und seufzte leise, obwohl er gewusst hatte, dass Toarsen und Kissel ihn nicht lange allein lassen würden. Ein pelziger schwarzer Kopf legte sich auf seinen Stiefel, dann seufzte Gura ebenfalls.
»Phoran«, sagte Lehr leise hinter ihm.
Der junge Kaiser drehte sich um und sah den dunkelhaarigen jungen Mann an - nicht unbedingt die letzte Person, die zu sehen er erwartet hatte, aber dicht daran.
»Hast du genug von dem Lärm?«, fragte Phoran.
Lehr lächelte, aber er gab es nicht laut zu. »Hinnum glaubt, wenn Mutter eine Lerche findet, könnte ein Kreis aller sechs Weisungen imstande sein, sich an die Alten Götter zu wenden.
Die Weisungen waren schließlich einmal dazu gedacht zu verhindern, dass die Macht der Alten Götter zu groß wurde. Aber sobald die überlebenden Zauberer begriffen, dass es ein Loch im Schleier gab, schien das nicht notwendig zu sein, also entwickelten sie niemals eine funktionierende Zeremonie dafür. Hinnum denkt, die Macht des Webers und der sechs Weisungen könnte den Schatten zerstören.«
Phoran blickte auf zum Sonnenuntergang. »Etwas von den Worten habe ich noch mitbekommen. Sieht aus, als wollten deine Mutter, Hennea und Hinnum versuchen, sowohl Tier als auch diesen gestohlenen Weisungen zu helfen. Sie sagten, sie brauchten die echten Namen der Alten Götter, oder vielleicht auch nur eine Möglichkeit, uns andere loszuwerden, also wollen sie uns zum Tempel der Eule schicken, weil die Namen sich dort irgendwo befinden.«
»Rückwärts geschrieben ins Podium eingraviert«, bestätigte Lehr. »Mutter sagt, wir können mit Holzkohle und jemandes Hemd eine Kopie dessen anfertigen, was da steht.« Dann fügte er untertänig hinzu: »Ich kann es auch allein tun. Es ist nicht notwendig, dass …«
Er brach ab, und Phoran erkannte, dass sich etwas von seinem Ärger wegen der Unterbrechung einiger kostbarer einsamer Minuten bemerkbar gemacht haben musste. Lehr führte Phorans Reaktion wahrscheinlich darauf zurück, dass Seraph ihm Aufgaben übertrug, ohne ihn vorher zu fragen - was ihn vielleicht wirklich ein bisschen aufregen sollte, denn schließlich war er der Kaiser und Seraph die Frau eines Bauern. Aber sie hatte ihn als Familie bezeichnet: Was Phoran anging, konnte sie ihn so viel herumkommandieren, wie sie wollte.
»Hast du je gesehen, wie drei Zauberer zusammengearbeitet haben?«, fragte er Lehr.
Lehr zögerte, dann sagte er vorsichtig: »Nein.«
»Das liegt daran, dass sie es nicht können. Ich will lieber nicht in der Nähe sein, wenn dieser alte Zauberer, deine Mutter und Hennea anfangen, sich zu streiten.« Phoran erinnerte sich daran, dass es Jes war, der nicht angefasst werden wollte, und tätschelte Lehrs Rücken.
Lehr bedachte ihn mit einem trägen Lächeln.
»Im Ernst, Lehr, ich denke, keiner von uns sollte allein in dieser Stadt unterwegs sein. Es ist nicht wie im Wald, wo du und dein Bruder sich mit allem auskennen, was passieren
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