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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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…«
    »Aber wenn Jes sagt, es ist ein guter Platz, werden wir bestimmt Erfolg haben«, beendete Rinnie den Satz vergnügt.
    Die weiche Ledersohle ihres Schuhs rutschte über einen Stein, und Lehr drehte sich um und hielt seine kleine Schwester an der Schulter fest, damit sie nicht fiel.
    »Sei ein bisschen vorsichtiger«, sagte er streng. »Die Steine sind hier immer noch feucht vom Tauwasser. Ich will dich heil zurückbringen.«
    Rinnie schnitt hinter seinem Rücken eine Grimasse, aber dann achtete sie genau darauf, wo sie hintrat, damit er ihr nicht wieder helfen musste. Er war ein recht brauchbarer älterer Bruder - wenn er nur aufhören würde, Papa sein zu wollen.

    Rinnie behielt Lehrs Rücken im Auge, als er dem Serpentinenpfad vorbei an alten, umgestürzten Bäumen folgte. Muskeln ließen sein vom Vorjahr stammendes Hemd an den Schultern eng werden. Er würde bald ein neues brauchen. Sie seufzte; sie wusste schon, wer dieses Hemd nähen würde. Mutter konnte zwar nähen, aber sie mochte es nicht besonders.
    Sie fragte sich, wann sie Jes wohl treffen würden. Sie begegnete ihm immer irgendwo, wenn sie ohne ihn in den Wald ging. Lehr sagte oft, das sei das Zuverlässigste an Jes.
    Jes arbeitete schwer, aber es war ihm durchaus zuzutrauen, dass er Pflug und Pferd mitten auf dem Feld stehen ließ, wenn ihm danach war. Und im Frühjahr war er noch schlimmer. Papa sagte, das liege daran, dass der Winterschnee ihn einengte. Bis zum Mittsommer ging Jes dann nur noch einmal in der Woche wandern und nicht mehr jeden Tag. Und bei der letzten Ernte hatte er beinahe jeden Tag mitgearbeitet.
    Lehr bog vor Rinnie von dem Waldpfad ab, dem sie gefolgt waren, und schlitterte den steilen Hang einer kleinen Schlucht hinab. Etwa auf halber Höhe musste er langsamer werden und sich seinen Weg durch das Unterholz bahnen, das den größeren Teil des Hangs dort überzog. Die Zweige rissen an Rinnies Röcken, bis sie ein ganzes Stück von Lehr entfernt war, der den Hang bereits hinter sich gelassen hatte und nun auf der anderen Seite wieder nach oben kletterte. Sie versuchte, sich zu beeilen, und blieb prompt mit einer Haarsträhne an den Dornen eines wilden Rosenbuschs hängen.
    »Warte!«, rief sie und wollte die Haarsträhne ungeduldig abreißen, was alles nur noch schlimmer machte.
    »Warten?«, sagte eine interessierte Männerstimme vom gegenüberliegenden Felskamm aus.
    Als sie nach oben schaute, sah sie Storne, den Sohn des Müllers, der zusammen mit ein paar Freunden auf sie hinunterstarrte.
Papa sagte immer, der Müller gebe Storne nicht genug zu tun. Wenn ein junger Mann nichts zu tun habe, richte er nur Unfug an.
    Dann hatte Papa Rinnie direkt in die Augen gesehen und sie angewiesen, sich von Storne fernzuhalten, wenn er andere Jungen dabeihatte, ganz gleich, wie höflich sie sich gaben, denn ein Junge, der seine Freunde beeindrucken wollte, würde Dinge tun, die er allein nie tun würde. Die Jungen, mit denen Storne heute zusammen war, machten auf Rinnie keinen besonders guten Eindruck: Olbeck, der Sohn des Verwalters, und Lukeeth, dessen Vater zu den wohlhabenderen Kaufleuten im Dorf gehörte.
    Rinnie zog das Messer aus der Scheide am Gürtel und schnitt die widerspenstige Haarsträhne ab, dann kam sie aus dem Gebüsch. Weiter bewegte sie sich nicht, weil man vor Raubtieren nie davonlaufen soll. Das Messer behielt sie in der Hand, als hätte sie es einfach vergessen.
    »Rinnie?«, rief Lehr ungeduldig. Er hatte Storne, der nicht lauter als nötig gesprochen hatte, offenbar nicht gehört.
    »Hier«, rief sie.
    Sie wollte keinen Ärger anfangen, indem sie sich anmerken ließ, dass Storne und die anderen Jungen sie nervös machten, also sagte sie nichts weiter, aber etwas in ihrer Stimme musste Lehr beunruhigt haben, denn er kam im Laufschritt zurück. Er betrachtete die abgeschnittene Haarsträhne am Rosenbusch, dann schaute er nach oben und sah Storne und seine Freunde.
    »Du hättest dir das Haar zusammenbinden sollen«, schimpfte er.
    Ihre Erleichterung verschwand, und sie war nur noch gekränkt, dass er sie vor diesem Publikum kritisierte.
    »Na, wenn das nicht das Reisendensöhnchen ist«, sagte Lukeeth, dunkeläugig und ein wenig größer als Storne.

    »Weiß dein Vater, dass du wieder vor deinem Tutor ausgerissen bist?«, erwiderte Lehr so freundlich, dass Rinnie am liebsten den Mund aufgerissen hätte, zumal er ihr die Schuld an der Sache mit dem Haar gegeben hatte. Lehr hatte Mutters aufbrausende Art, und in den

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