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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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gereist sei, um den alten
Freund zu bestatten, werde er doch ein paar persönliche Worte für eine
Würdigung finden, meinte Sammler. Einen Abschied von Dov Zedek für die
österreichischen Leser.
    Ethan hatte sich geweigert.
Totenredner wollte und konnte er nicht sein. Er war nicht einmal zu einem Geburtstagsständchen
bereit. Auf dem Friedhof hatte er Katharina umarmt. Verweinte Gesichter um ihn
herum, er war zu keiner Regung und keinen Tränen fähig. Im Schlaglicht der
Mittagssonne — inmitten des Gräberfeldes - schien die Trauergemeinde zu
schrumpfen. Es war ihm, als verdorre jeder, der sich hier eingefunden hatte.
Dieser Platz strahlte nichts von christlichen Kirchhöfen aus, die schattige
Orte der Einkehr sein wollten. Nichts war hier versöhnlich. Anders als bei
katholischen Bestattungen boten hier weder Blumen noch Kränze Trost, waren
keine Kapelle und kein Orchester zu hören, wartete keine imposante
Familiengruft auf Besuch.
    Der Gesang des Rabbiners
erinnerte an ein Wehklagen. Die Leiche war nicht in einem Sarg versteckt,
sondern nur von einem schwarzen Tuch bedeckt. Darunter schien Dovs Körper, der
immer so mächtig gewesen war, nun klein und schmächtig. Für einen Moment dachte
Ethan, da liege ein anderer.
    Er war bloß vier Tage in
Israel gewesen und gleich nach der Ankunft zum Begräbnis nach Jerusalem
gefahren, wo Dov die letzten zwei Jahrzehnte gelebt hatte. Schiwe in Dovs
Wohnung. Die vielen Diskussionen und Streitereien hier zwischen Dov und ihm
waren ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Am nächsten Morgen hatte er die
Gelegenheit genutzt, einen Kollegen an der Hebräischen Universität aufzusuchen.
Gespräche über mögliche Kooperationen. Am dritten Tag erst der Aufbruch nach
Tel Aviv. Der Besuch bei den Eltern. Die Mutter hatte ihn beiseite gezogen, um
mit ihm zu reden, aber sein Vater war dazwischengegangen. Er wolle jetzt
aufbrechen in sein Stammlokal. Beim Abschied dann ihr Laserblick, bewährt seit
der Kindheit. Vater werde übermorgen im Krankenhaus gründlich untersucht.
    Während des Rückfluges wollte
er eine Dissertation lesen. Die Müdigkeit machte ihn zittrig, ihm war, als
bleiche sie ihn aus, löse ihn auf. Nicht nur der Körper, auch sein Denken
verlor an Konsistenz. Hinzu kam der Eindruck, alle könnten ihm ansehen, wie es
ihm ging, müßten ihn durchschauen, denn er fühlte sich gläsern, hatte die
letzten Tage durchgearbeitet und in dieser Nacht weniger als drei Stunden
geschlafen. Gleichzeitig schämte er sich dieses Gedankens. Er wußte, daß alle
um ihn herum mitten in der Nacht aufgestanden waren. Wer war hier nicht
übernächtigt? Sie hingen in den Gurten. Alles war in der Schwebe. Abgehoben.
    Stunden vor dem Start waren
die Passagiere schon im Flughafen eingetroffen. Vorgestern erst der Anschlag in
der Innenstadt. Das Lokal hatte er flüchtig gekannt. Die Einsatztruppe, die
gefilmt wurde, als sie Fleischfetzen und Leichenteile vom Boden klaubte, von
Wänden schabte, in Plastikbeutel steckte.
    Links neben ihm eine Frau,
Mitte Siebzig, mit wachsweiß geschminktem Gesicht, eine Echse mit Krokodilledertasche,
das Haar platinblond. An der Rechten ein Brillantring, der im Anhänger ihrer
Halskette sein Pendant fand. Sie trug ein karminrotes Damastkostüm mit
stumpfgoldenen Knöpfen, eingewebt in den Seidenstoff glänzten Blumengirlanden. Ethan
Rosen fühlte sich an chinesische Tapetenmuster in Versailles erinnert. Die geheime
polnisch-jüdische Marne des Sonnenkönigs Louis Quatorze, die Mutter aller
absolutistischen Mächte. Als er kurz zu ihr hinüberschaute, fing sie seinen
Blick auf. Sie nickte ihm zu, als kenne sie ihn.
    Rechts von ihm ein dicker
Orthodoxer. Der bückte sich gerade nach einer Tasche, holte sein Samtetui
hervor, in dem Gebetsbuch und Gebetsriemen aufbewahrt waren.
    Warum mußte gerade er neben
diesem Wiedergänger sitzen, dachte Ethan, neben einem Wiederkäuer der Schrift,
der ihn mit seinen Schläfenlocken, dem wolligen Haar und dem langen Bart an ein
Schaf erinnerte. So einer wollte nichts als beten, würde sich während des ganzen
Fluges hin- und herwälzen. Wie sollte er da arbeiten? Vor einer Woche, auf dem
Weg von Wien nach Tel Aviv, war er auch an der Seite eines Frommen gesessen,
ohne daß ihn das Zeremoniell gestört hätte. Im Gegenteil. Beide waren sie in
ihrer je eigenen Welt versunken gewesen. Was unterschied diesen Gläubigen von
dem anderen? Damals hatte er auf das jüdische Original geschaut, hatte ein
Auge auf ihn geworfen, bereit, ihn

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