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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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ungerührt geblieben war, nun die Tränen kamen.
    »Verzeihen Sie bitte«, hörte
er eine Stimme im Nacken. Es war der Fromme, der aufgestanden war, um zu schuckeln:
»Ich weiß nicht, ob der Herr hier Rosen, Rossauer oder Löwenthal heißt, aber
Tefillin hat er heute noch keine gelegt. Und wissen Sie, warum?« Er grinste,
blickte wie im Triumph in die Runde: »Er steht nicht auf Leder!«
    Und plötzlich zweifelte
niemand mehr an, wer er war, nicht die Dame im Kostüm, nicht der israelische
Glatzkopf und nicht die Flugbegleiterin. Sie erinnerten sich seiner, und es
war, als hätten sie alle den Orthodoxen zur höheren Autorität erkoren, die sich
von seinem Äußeren nicht täuschen ließ und ihn bis in alle Zeiten unter Tausenden
erkennen würde.
     
    2
     
    In Wien angekommen, fuhr er in
seine Wohnung, ein kleines Appartement, das ihm vom Institut zur Verfügung
gestellt worden war. Er packte den Koffer aus, schaltete den Computer ein und
las seine E-Mails. Dann hörte er den Anrufbeantworter ab. Seine Mutter, die er
noch am Vortag in Tel Aviv gesehen hatte, bat um Rückruf. Der Ton ihrer Stimme
erinnerte ihn an eine Sirene. Dann Esther Kantor. Sie lud am Wochenende zu
einem Open House. Es sei ein Fest ohne Anlaß. Alle müßten kommen. Sie redete
vom Essen. Humus und Tehina, Pita und Babaganusch, Schinken extra und
exquisiter Käse, Tschulent und Zimes, you name it we've got it, aber auch Mazzot
und Mazzebrei für all jene, denen das ungesäuerte Brot nach dem letzten Pessach
nicht mehr aus den Ohren staube. Sie koche. Ray werde am Grill stehen und
Würstel braten. Ja, amerikanische Steaks würden auch nicht fehlen.
    Seine Mutter erreichte er
nicht. Er rief im Institut an, um der Sekretärin mitzuteilen, daß er wieder da
war. Dann hinaus, Dissertation, Stift und Schlüssel in der Hand, das Zuschlagen
der Tür im Rücken. Er setzte sich ins Cafe. Es dauerte Stunden, bis er die
Arbeit zu Ende gelesen hatte. Danach suchte er nach der Wiener Zeitung, in der
jener Kommentar über Dov Zedek erschienen war. Er las den Nachruf noch einmal,
aber diesmal, anders als im Flugzeug, verfing er sich in dem Text.
    Zu Hause rief er Fred Sammler an,
um ihm mitzuteilen, daß er auf den Artikel antworten wolle. »Ich hatte Sie
doch von Anfang an um einen Nachruf gebeten. Sie kannten Dov Zedek schließlich
sehr gut.«
    Ethan schwieg. Er vertrug
keine Trauerreden und keine Festreden. Ihm wurde übel, wenn er eine Ansprache
hören mußte. Er verschickte nicht einmal persönlich gehaltene Briefe. Selbst
den Frauen, in die er verliebt gewesen war, hatte er immer nur soziologische
Analysen oder eine Polemik zugesandt.
    »Ich will keinen Nachruf für
Dov schreiben, sondern eine Antwort auf Klausinger.«
    »Wenn Sie heute noch fertig
werden, dann erscheint sie übermorgen.«
    Ethan setzte sich an den
Computer. Fünfzehn Minuten Zorn. Schreiben im Affekt. Im Geburtsland des
Führers, tippte er, kämen einem die Ausführungen irgendeines ungenannt
bleibenden Israeli gerade recht, wenn es darum gehe, heimatliche
Selbstvergessenheit zu beschönigen. Er schrieb von der Notwendigkeit der
Erinnerung und von Tendenzen, ob in Budapest oder Teheran, die Shoah zu
leugnen.
    Ein Schreiben gegen die
Müdigkeit war es. Raserei gegen Erschöpfung. Als er fertig war, den Text
durchgelesen und abgeschickt hatte, saß er reglos da, viel zu aufgerieben, um
Ruhe zu finden. So verfaßte er das Gutachten über die Dissertation.
    In der Nacht träumte er, fand
sich im Kreuzfeuer, Granaten der Erinnerung, und er sah Udi, sah wieder den
offenen Bauch und das Blut, aber Udi lachte und war unversehens in Dov Zedek
verwandelt, und der brüllte: »Ich sterbe«, er schrie: »Ich sterbe, Ethan, ich
sterbe vor Lachen«, und Dovs Gelächter, das berühmte Röhren, ging im Applaus
unter, in tausendfachen Lachsalven, die überall einschlugen und explodierten.
    Den nächsten Tag verbrachte er
im Institut und an der Universität. Den Anruf seiner Mutter verpaßte er erneut.
Er möge sich doch endlich melden, hatte sie auf dem Anrufbeantworter
hinterlassen, es gehe um Vater. Die Untersuchungen im Spital hätten keine
guten Ergebnisse erbracht.
    Als er am nächsten Morgen zum
Hörer greifen wollte, rief ihn Fred Sammler an. Die Reaktionen auf seinen Artikel
seien heftig.
    »Ist es wirklich so schlimm?«
    Nein, es sei gut. Es gebe eine
richtige Debatte, meinte Sammler. Ethan habe sich ins Zentrum einer Auseinandersetzung
geschrieben und sei wohl ein wenig zwischen die Fronten

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