Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Liebling«, rief ihre Mom zurück. »Bis heute Abend.« Und dann, gerade als Em zur Haustür hinauseilte: »Und pass auf dich auf!«
Das neue Einkaufszentrum war von Baustrahlern hell erleuchtet, als Em dort ankam. Sie hatte gehört, dass sie einen Großteil der Arbeiten nachts machten – Überstunden wegen des zeitlichen Verzugs des Projekts. Das beruhigte sie etwas. Dann war Gabby hier in den letzten zwanzig Minuten wenigstens nicht ganz alleine gewesen. Und wenigstens würde sie hier nicht ganz alleine sein. Wenn so viele Leute in der Nähe waren, konnte ja nichts Schlimmes passieren. Sie blinzelte in das Flutlicht und hielt nach Gabbys blonden Locken Ausschau, konnte jedoch nichts als glänzende Stahlträger und orangefarbene Absperrkegel erkennen. Die Luft war von lautem Maschinenlärm erfüllt, mit dem Tuckern von Betonmischern und Baukränen. Die Arbeiter schienen ihr Eintreffen nicht zu bemerken.
Sie griff in die Tasche, um ihr Handy herauszunehmen und Gabby anzurufen, da fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihr Kettchen mit dem Schlangenanhänger wieder umzulegen, nachdem sie sich umgezogen hatte. Oh nein. Obwohl sie es erst seit zwei Tagen besaß, versetzte der Gedanke, das Haus ohne es zu verlassen, ihr Herz in einen panischen Rhythmus. Sie nahm sich vor, es noch schnell zu holen, bevor sie später zum Lagerfeuer fuhren.
Na toll. Ihr altes Klapphandy hatte keinen Empfang, wie hoch sie es auch aus dem Fenster hielt, noch nicht einmal, als sie weiter auf den geschotterten Platz fuhr. Gabby musste mit ihrem Smartphone mehr Glück gehabt haben. Es blieb Em nichts anderes übrig, als sie zu suchen. Im Stillen verwünschte sie ihre Freundin. Das nächste Mal, wenn wieder eine emotionale Katastrophe über dich reinbricht, dann warte wenigstens direkt am Eingang, Gabs. Dann dachte sie daran, wer eigentlich der Schuldige war – Zach –, und ihr blieb förmlich die Luft weg. Jetzt verstand sie, was die Leute meinten, wenn sie sagten, sie wären rasend vor Wut. Wenn sie ihn das nächste Mal sah (so ungefähr in einer halben Stunde am Lagerfeuer, falls er den Mut hatte, da aufzukreuzen – und das würde er ganz sicher), würde sie sich beherrschen müssen, ihn nicht anzuspucken oder Schlimmeres. Aber jetzt war nicht der Augenblick, um über Rache nachzudenken.
Sie stieg aus dem Wagen und rief nach Gabby, doch ihre Worte wurden vom Lärm und der Weite des Geländes verschluckt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Baustelle war ein Teil des Komplexes schon fast fertiggestellt. Vielleicht wartete Gabby ja dort, um sich warm zu halten. Das war vernünftig. Em setzte sich über den gefrorenen Schotter in Bewegung und drehte sich alle paar Schritte um, damit sie auf alle Fälle ihr Auto im Blickfeld behalten konnte. Jetzt wünschte sie sich doch, JD wäre mitgekommen.
In dem Flügel des Einkaufszentrums, in dem die Bauarbeiten bereits am weitesten fortgeschritten waren, türmte sich der Schnee in hohen Verwehungen, wo später einmal Glastüren eingebaut werden würden. An dieses Gebäude grenzte eine eher gerüstartige Konstruktion aus Stahlträgern. Hier waren gerade einige Männer dabei, den Boden mit Beton auszugießen und Stück für Stück zu verdichten. Em sah ihnen einen Augenblick fasziniert dabei zu, wie sie lange Rohrstücke verlegten und anschließend den Untergrund mit einer schweren, feuchten Betonmasse bedeckten, die so ähnlich wie grauer Pfannkuchenteig aussah. Einer der Männer blickte auf- und sie trat rasch zurück in eine klaffende Türöffnung, bevor irgendjemand fragen konnte, was sie hier zu suchen hatte.
Sie lugte um die Ecke, erblickte jedoch nichts weiter als Lagerregale und betonierte Treppenaufgänge. Sie rief nach Gabby. Ihre Worte schallten blechern und metallisch aus dem riesigen Raum zu ihr zurück. Keine Antwort. Ihr Herz schlug nun schneller. Was war hier los?
Sie ging rasch um den Eingang herum zu dem fast fertigen Gebäude.
»Gabby?« Jetzt schrie sie, so laut sie konnte. »Wo bist du?«
Sie griff wieder nach ihrem Handy, obwohl sie wusste, dass es zwecklos war – wieso sollte sie hier Empfang haben, wenn sie vorhin, als sie noch näher an der Straße gewesen war, keinen gehabt hatte? Sie wollte schon umdrehen und schnell zurück zu ihrem Wagen laufen, zurück zur Straße, von wo aus sie Gabby anrufen und ihre genaue Position herausfinden konnte, da hörte sie es: ein winziger Laut. Ein Weinen. Es schien von rechts zu kommen – aus dem Bereich, der dem Gebäudeteil
Weitere Kostenlose Bücher