Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Augenblick. Vielleicht wollte Ty ihr ja wirklich helfen.
Plötzlich erreichten sie eine halb fertige Treppe. Ty eilte weiter vorwärts und hinterließ dabei einen beinahe greifbaren Dunstschleier. Dann war Em im Freien, auf einer Art Terrasse im zweiten Stock, und schluchzte vor Erleichterung in die eisige Nachtluft. Ty war nirgends zu sehen. Auf der linken Seite führten Treppenstufen nach unten zu dem Schotterplatz vor der Baustelle. Als sie hinunterstürmte, sah sie, wie ein Kran gerade drei schwere Rohre in den letzten Bauabschnitt fallen ließ, der noch mit Beton ausgegossen werden musste.
Und sie erkannte, dass die Rohre genau auf der Stelle landeten, an der sie jetzt wäre, wenn Ty sie nicht von dort weggelotst hätte.
Dann hörte sie plötzlich Schreie. Jemand rief ihren Namen. Em! Em! Em! Sie war sich nicht sicher, ob es real war oder nur Geräusche, die der Wind mit sich trug.
Ali und Meg. Sie waren unter die Rohre geraten; vom Beton begraben worden.
In der Falle. Sie saßen in der Falle. War das denn überhaupt möglich?
Sie hastete weiter zu ihrem Auto. Schnell nach Hause. Schnell zu JD. Lauf weiter. Würde sie von nun an immer auf der Flucht sein? Sie zitterte völlig unkontrolliert, Tränen gefroren auf ihren Wangen. Sie drehte sich noch nicht einmal mehr nach Ty um, dankte ihr nicht, weil sie nicht wusste, wie. Oder warum. Warum hat sie mir wohl geholfen?
Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Nase und fuhr sich nervös mit den Fingern durch die Haare. Ihr Gesicht entspannte sich trotz allem zu einem Grinsen und ein paar Atemzüge lang überkam sie Erleichterung, ein Gefühl, wie wenn man in ein warmes Bad steigt. Sie waren fort. Sie saßen in der Falle und sie war ihnen entwischt.
Doch dann, genauso schnell wie es gekommen war, verschwand das Gefühl wieder. Denn da waren sie. Em blieb abrupt stehen. Sämtliche Atemluft entwich mit einem Schlag ihrem Körper, als hätte sie jemand in den Magen geboxt. Ali und Meg. Sie lehnten an ihrem Wagen, als würden sie schon seit Stunden da auf sie warten. Und sahen dabei so unheimlich gelassen aus. Ali strich sich mit der Hand durch das blonde Haar; Meg betrachtete eingehend die Fingernägel ihrer linken Hand. Ty kam über den Platz auf sie zu und hielt die Schleppe ihres weißen Kleides, wie auf einem Ball, anmutig-vornehm in der einen Hand.
»Nein!« Die Angst überrollte Em von Neuem. Es war wie am Meer, wenn man von einer Welle umgerissen wurde und sich wieder aufrappelte, nur um von der nächsten, dunkleren, noch größeren zurück in den Sand geschmettert zu werden. Sie sackte zu Boden. Sie schrie so laut, dass ihre Stimme ganz heiser wurde. »Gut. Ihr habt mich also. Hier bin ich, okay? Nehmt Rache! Macht, was immer ihr wollt. Habt ihr verstanden? Ich sagte, ihr könnt mich umbringen. «
Ali sah sie verdutzt an. Sie strich sich die Haare über der einen Schulter glatt. »Aber wir wollen dich doch nicht umbringen« ,erwiderte sie mit immer noch blutrotem Mund. »Abgesehen davon haben wir schon Rache an dir genommen.« Sie blickte demonstrativ hinter sich.
Da sah Em es. Ein leeres Auto parkte direkt hinter ihrem eigenen, ganz schräg, so als wäre jemand ziemlich halsbrecherisch damit gefahren und hätte es dann übereilt stehen gelassen.
Sie erkannte es sofort. Es war ein verbeulter blauer Volvo. Er gehörte JD.
Sie wirbelte von Ali zu Meg, zu Ty – taumelte, verhaspelte sich.
»Was ist hier los? Ihr – ihr habt mich reingelegt«, fuhr sie Ty an, zeigte mit dem Finger auf sie und sah zu, wie er vor ihrem Gesicht zitterte.
»Du bist mir gefolgt, um am Leben zu bleiben«, erwiderte Ty nur. »Das war deine Entscheidung.« Dann kräuselte sie ihre Lippen zu einem kleinen höhnischen Grinsen. »Mit Entscheidungen solltest du dich doch inzwischen auskennen.«
»Arme Emily«, fügte Meg in einem Singsang hinzu. »Offensichtlich bist du doch nicht so schlau, wie alle sagen.«
Ali meldete sich fröhlich zu Wort. »So ist es auch viel besser, Em, meine Liebe. Es ist sogar perfekt. Die Strafe muss schließlich zum Vergehen passen. «
Und mit einem Mal war alles ganz klar. Die Schreie, die sie gehört hatte. Die herunterfallenden Rohre. Die Rache, die sie üben wollten. Ob Gott.
JD.
Kapitel 25
Ems Angst war wie Eis, brachte ihr Herz zum Stillstand. Gleich würde JD von einer dicken Betonschicht bedeckt sein. Erstickt. Begraben.
Sie rannte los, preschte über den mit Schutt übersäten Platz auf die Baumaschinen zu. Sie sah, wie der riesige
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