Rache - 01 - Im Herzen die Rache
irgendwie hatte man das Gefühl, als könnte die Kälte sich nicht in all ihrer Pracht entfalten. Es war eisig kalt, jedoch ganz ohne Schneedecke.
Die Tage kamen und gingen. Em und Gabby fuhren nach der Schule meistens gleich nach Hause, machten Intensiv-Haarkuren, guckten schnulzige Liebesfilme und durchforsteten den Urban-Outfitters-Katalog nach neuen Must-Haves für ihren Kleiderschrank. Sie sprachen nicht über Zach, der – den Beziehungen seines Stiefvaters sei Dank – auf das Internat in New Hampshire gewechselt war, das dieser selbst einmal besucht hatte. Ist ein besseres Sprungbrett für Yale, hatte er dem Footballteam erklärt. Em wusste allerdings, dass es wohl eher mit seiner mangelhaften Mathenote zu tun hatte. Hauptsächlich aber war sie erleichtert, als sie merkte, dass es sie nicht länger interessierte, was der eigentliche Grund für irgendetwas war, was Zach tat.
Wann immer Em nicht ihre Zeit damit verbrachte, ihre Freundschaft mit Gabby zu kitten, war sie bei Drea und las so viele Bücher, wie sie nur in die Finger bekommen konnte. Ihre Träume waren voller dunkler Stellen, klaffende Abgründe zwischen Realität und Albtraum, die sie komplett zu verschlucken drohten. In diesen Träumen war sie ständig kurz davor, sich in einen finsteren Schlund zu stürzen, einen, der bis in ihr Inneres reichte, obwohl sie doch wankend oben am Rand stand. Manchmal kam Chase darin vor, manchmal JD. Manchmal Ali und Ty und Meg. Ab und zu Zach. In einigen Nächten wachte sie auf und spürte, wie ein Schrei in ihrer Kehle anschwoll.
Wenn sie nicht schlafen konnte, ging sie immer zu ihrem Fenster und blickte hinaus. Dann sah sie Gestalten – nein, sie sah sie weniger, als dass sie sie fühlte, sie spürte. Die Furien wollten, genau wie das Eis, einfach nicht schmelzen. Teile von ihnen waren in ihrer Erinnerung festgefroren.
Und JD … na ja, diese Aussicht war ebenso frostig. Seine Rolläden waren seit der Nacht, als sie ihn vom Einkaufszentrum nach Hause gebracht hatte, heruntergelassen. Am Morgen, nachdem sie ihm das Leben gerettet hatte, war sie aufgewacht und hatte gesehen, dass die Schnur zwischen ihren Fenstern gerissen war, niedergezogen von schweren Eiszapfen wahrscheinlich. Er fuhr schon zur Schule, bevor sie überhaupt wach wurde – Mathe-AG, hatte seine Mom ihrer erzählt –, und nie kreuzten sich ihre Wege auf dem Gang. Sie simste ihm, schickte ihm Chat-Nachrichten; seine Antworten, wenn überhaupt welche kamen, waren nichtssagend.
Em versuchte, es zu verstehen. Sie wusste, dass es das Werk der Furien war, dass sie ihn irgendetwas glauben ließen, das nicht stimmte … Doch sie wusste nicht, was. Und was wirklich passiert war, konnte sie ihm nicht erzählen; natürlich nicht, denn sie hatte ja geschworen, alles für sich zu behalten. Sie merkte genau, dass er böse auf sie war – und daran waren zweifellos die Furien schuld. Aber wie sollte sie sich verteidigen? Wie sollte sie das alles erklären?
Jede Faser ihres Körpers schmerzte, als sie langsam begriff, dass die Tatsache, ihn vor dem Tod gerettet zu haben, noch lange nicht bedeutete, dass sie den alten JD zurückbekam. Es war, als hätte sie mit dem Schlucken dieser Pillen entschieden, ihre Verbindung abzubrechen. Es war unerträglich. Unüberwindbar. Die wenigen Male, wenn ihr Blick auf seinen traf, wirkten seine Augen freundlich, aber leer. Es war nichts mehr zu sehen von all dem Gefühl, das zuvor aus ihnen gesprochen hatte.
Die Furien hatten im Grunde genau das erreicht, weswegen sie gekommen waren. Em hatte sie nicht besiegt – sie hatte sich vielmehr für den Rest ihres Lebens auf irgendeine Weise an sie gebunden. Sie wusste nicht einmal, wie, oder was das überhaupt bedeutete. Und inzwischen hatten sie ihr das Herz gebrochen.
Doch wenigstens war JD am Leben. Und solange er lebte und atmete, würde er sie vielleicht eines Tages wieder lieben. So lieferten Em und die Furien sich ein unsichtbares Tauziehen, bei dem Em immerhin noch ein Stück des Taus in der Hand hielt.
An manchen Tagen, wenn sie morgens zuschaute, wie die Sonne hinter den kahlen Ästen aufging und langsam den Himmel erfüllte, dachte sie darüber nach, wie sie die Sache wiedergutmachen könnte. Überlegte, JD zu erzählen, was passiert war – an diesem Abend und an all den Abenden, die dazu geführt hatten –, wie sie sich gefühlt hatte, als sie sich schließlich sicher war, dass sie ihn liebte. Sie könnte ihm erzählen, was Drea ihr gesagt hatte. Ihm das alles
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