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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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sagte die junge Frau. Ich schätzte sie auf siebenundzwanzig. »Sind Sie traurig?«
    »Ja«, sagte ich. Mit einem Kribbeln verschwand die Taubheit aus meinen Händen und Füßen. »Sehr traurig, würde ich sagen.«
    »Warum?«
    »Wie heißen Sie?«
    »Monica. Monica Wells.«
    »Ich heiße Cordell Carmel.«
    Monica hielt mir die Hand hin, und ich schüttelte sie.
    »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr Carmel«, sagte sie.
    Ich sah mir die hübsche, mollige kleine Frau an und dachte, dass man mit seinem Körper zwar immer nur einem Weg folgen, gedanklich und emotional aber gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Richtungen gehen konnte.
    Ich war unterwegs, um Johnny Fry zu töten, saß aber auch in diesem U-Bahn-Wagen, um Monica Wells dazu zu bringen, mich anzulächeln.
    »Eigentlich ist nur ein Teil von mir traurig«, sagte ich.
    »Und welcher Teil ist das?«
    »Der, der nicht mit Ihnen spricht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich stehe an einem Wendepunkt meines Lebens, Monica«, sagte ich und nannte sie bewusst bei ihrem Namen. »Fast so lange, wie ich in dieser Stadt lebe, war ich freiberuflicher Übersetzer, habe diese Arbeit aber letzte Woche an den Nagel gehängt. Außerdem habe ich mich von meiner Freundin getrennt und mich mit verschiedenen Frauen getroffen. Das klingt alles toll, ist es aber nicht. Meinen Job habe ich einfach so hingeschmissen, und meine Freundin, auch wenn sie’s nicht sagen will, liebt einen anderen…«
    »Wie schade«, sagte Monica. »Trifft sie ihn regelmäßig?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
    »Können Sie die Miete zahlen, so ohne Job?«, fragte sie.
    »Ich habe schon was anderes. Wer weiß, am Ende verdiene ich damit vielleicht sogar mehr Geld als vorher. Aber das Ganze ist so… verwirrend.«
    »Ja«, sagte sie. Ihre Hand bewegte sich ein Stück vor, als wollte sie meinen Arm berühren, aber sie hielt sie zurück.
    »Und Sie?«, fragte ich. »Wie sieht Ihr Leben aus?«
    »Ich wohne bei meiner Mom im East Village«, sagte sie. »Mit meiner Tochter.«
    »Wie alt ist sie?«
    »Fünf.«
    »Ein schönes Alter. Da läuft sie, redet und geht allein aufs Klo, aber tut noch, was Sie sagen…. meistens.«
    »Ja«, sagte Monica, senkte den Kopf und grinste. »Sie ist ein liebes Mädchen. Vermisst ihren Daddy, aber daran ist nichts zu ändern.«
    »Hat er Sie verlassen?«
    »Er sitzt im Gefängnis.«
    »Oh. Das tut mir leid.«
    »Ist schon okay«, sagte sie und hob abtuend die Hand. »Er hing ständig mit seinen Freunden herum, und am Ende hat’s ihn erwischt.«
    »Wie viele Jahre muss er absitzen?«
    »Hm. Wissen Sie, deswegen gehe ich wieder zur Schule. Ich will, dass meine Tochter mit allen möglichen Leuten aus allen möglichen Schichten zusammenkommt. Ich will, dass sie auf eine französische Schule geht. Dann kriegt sie eine ganz andere Welt zu sehen.«
    »Ich kenne eine Frau, die am New Yorker Lycee Francais arbeitet«, sagte ich. »Ich habe für sie schon einiges übersetzt.«
    »Ist sie eine Schwarze?«, fragte Monica.
    »Nein. Sie heißt Marie Tourneau und ist fast immer in der Schule zu erreichen. Sie könnten sie anrufen und sagen, ich hätte Ihnen geraten, sich an sie zu wenden. Dann wird sie mich anrufen, und ich werde Sie in den höchsten Tönen loben.«
    »Sie kennen mich doch gar nicht«, sagte Monica.
    »Ich kenne Sie wahrscheinlich besser als irgendwer, dem Sie sich offiziell vorstellen«, sagte ich. »Ich weiß zum Beispiel, dass Sie versuchen, sich und Ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen, und ich weiß, wie viel Ihnen die Schule dabei bedeutet. Wie heißt Ihre Tochter?«
    »Mozelle.«
    »Also dann, erzählen Sie mir von Mozelle.«
    Mozelle war ein Einzelkind. Sie liebte Buntstifte, gelbes Papier und Musik und half ihrer Mutter und Großmutter abends beim Kochen.
    An den Wochenenden machten Mutter und Tochter immer etwas Besonderes, gingen in den Zoo in der Bronx, ins Museum of Natural History oder ins Metropolitan Museum. Einmal waren sie mit der Fähre nach Staten Island gefahren, nachdem sie das Jüdische Museum besucht hatten.
    »Ich will, dass Mozelle die Geschichte der einfachen Leute kennenlernt«, sagte sie. »Sie soll wissen, wo wir herkommen – wir alle.«
    Der Zug hielt an der 135. Straße. Als Monica aufstand, um auszusteigen, stand auch ich auf.
    »Wollen Sie auch ins College?«, fragte sie mit einem plötzlichen Anflug von Angst in der Stimme. Schließlich kannte sie mich nur aufgrund unserer kurzen Unterhaltung.
    »Ich wollte eigentlich nur

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