Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
Vom Netzwerk:
in Betracht ziehen. Warum zum Beispiel war ich gefallen? Hatte ich Fieber? War da eine Blockade in meinem Kopf? Hatte sich die Verletzung entzündet? Dann hätte er mir keine Spritze direkt in die Hand geben können, das hätte zu sehr wehgetan. Wir sind ein System, wir alle, aber wir denken und verhalten uns nicht so. Wir nehmen Schuldzuweisungen vor, haben Mitleid und sehen weg. Deshalb habe ich kein Vertrauen in die Menschen. Sie sind blind.«
    »Aber Sie nicht«, sagte Linda Chou, ohne dass ich hätte sagen können, ob sie sich über mich lustig machte.
    »Würden Sie mit mir ausgehen?«, fragte ich sie.
    »Wohin?«
    »Ich weiß nicht. Zum Tanzen?«
    »Sie tanzen gerne?«
    »Ich kann nicht tanzen. Aber Sie sehen wie eine gute Tänzerin aus, und ich bin bereit, für ein Rendezvous mit Ihnen ein paarmal zu Boden zu gehen.«
    »Aber was ist, wenn Sie Fieber haben oder gar einen Tumor?«
    »Dann sterbe ich tanzend«, sagte ich. »Was könnte schöner sein?«
    Linda lachte sehr laut. Vermutlich war sie irritiert, weil sie nicht mit so einer tiefschürfenden Unterhaltung gerechnet hatte. Ich musste an Lucy denken, wie sie sich an mich drückte, als ich im Schlaf in sie eindrang. Sie wollte es, aber gleichzeitig war es ihr zu viel.
    »Okay«, sagte sie. »Wann?«
    »Heute Abend geht es nicht. Ich habe später noch einen Termin. Aber übermorgen gerne.«
    »Okay«, sagte sie und zuckte lächelnd mit den Achseln. »Ich suche uns ein nettes Lokal aus, und Sie holen mich hier um neun Uhr ab.«
    »Ich muss mal eben zur Toilette«, sagte ich. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Brads benutze?«
    »Nein. Gehen Sie nur.«
     
     
    Ich trat in Brads großes, modern eingerichtetes Büro und ging zum Bad hinüber, lehnte mich hinein, drehte das heiße und das kalte Wasser auf und produzierte reichlich Lärm. Dann machte ich mich klein, hockte mich vor Brads Schreibtisch und öffnete die unterste Schublade.
    Ich wusste, dass er eine unregistrierte Pistole darin aufbewahrte. Eine .32er, die er einem drogensüchtigen Klienten abgekauft hatte, und zwar, wie er sagte, damit der Junge sich etwas zu essen leisten konnte und mit dem Ding niemanden umbrachte oder sich gar selbst erschoss.
    Eine Woche später starb der Junkie an einer Überdosis. Brad verdiente hunderttausend Dollar an seinen Aquarellen. Der Junkie hatte nicht mal eine Freundin gehabt, der Brad etwas hätte zahlen müssen.
    Ich steckte die ungeladene kleine Pistole in die linke Brusttasche meines Jacketts und die Schachtel mit der Munition in die andere. Dann ging ich ins Bad, betätigte die Spülung, drehte die Hähne zu, die wie silberne Eidechsen aussahen, und ging zurück in Lindas Büro.
    Linda saß hinter ihrem Schreibtisch, vor ihr lagen einige Dokumente.
    »Das sind drei Standardverträge, wie wir sie für unsere Klienten und Händler benutzen«, sagte sie. »Sie sollten sie mitnehmen und durchlesen. Wann treffen Sie Miss Thinnes das nächste Mal?«
    »Samstag.«
    »Lesen Sie die Verträge durch, und wir besprechen, was Sie fordern sollten, wenn wir tanzen gehen.«
    »Vielleicht«, sagte ich.
    »Vielleicht?«
    »Nun… Es wäre keine sehr gelungene Verabredung, wenn ich Sie für Ihr Essen und das Tanzen arbeiten ließe.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Linda mit einem genießerischen Lächeln. »Ich werde Sie auf der Tanzfläche ebenfalls arbeiten lassen. Bis Sie nicht mehr können.«

 
    Ich brachte die junge Empfangsdame zu ihrer U-Bahn-Haltestelle und gab ihr einen Abschiedskuss auf die Wange. Ich freute mich auf unsere Verabredung, aber das Gewicht in meiner Tasche erinnerte mich daran, dass ich bis dahin womöglich längst tot war. Aus irgendeinem Grund musste ich darüber lachen.
     
     
    Ich spazierte durch den Central Park zur Fifth Avenue und wandte mich südwärts. Die Luft war schwül und die Straße voll mit Menschen – Sekretärinnen, dickleibigen Geschäftsmännern, heimatlosen Rauchern. Limousinen spuckten Leute aus oder holten sie ab, und überall sah man Liebespaare, ganz normale Liebespaare.
    Ich ging zu einer Telefonzelle und rief Joelle an.
    »Hallo«, sagte sie. Es klang, als hätte sie den Anruf erwartet.
    »Hallo.«
    »Oh…. L.«
    »Hast du mit jemand anderem gerechnet?«
    »Nein, nein.«
    »Ich könnte auflegen und später noch mal anrufen.«
    »Nein. Wo bist du?«, fragte sie. »Du klingst, als stündest du draußen vor der Tür.«
    »Ich bin auf der Fifth Avenue. Mein Typ aus Philly fährt heute Abend um zehn von Penn Station.

Weitere Kostenlose Bücher