Rache an Johnny Fry
bis zur 95. Straße«, gestand ich ihr, »aber mir hat das Gespräch mit Ihnen so gut gefallen, dass ich sitzen geblieben bin. Jetzt gehe ich auf die andere Seite und fahre zurück.«
»Aber dann müssen Sie neu zahlen«, sagte sie. »Wenn Sie bis zur 145. fahren, können Sie ungehindert rüber.«
»Das macht nichts«, sagte ich. Wir standen bereits auf dem Bahnsteig. »Ich bringe Sie noch bis zum College, und dann fahre ich zurück. Das ist es wert.«
Am Fußgängerübergang sagte ich: »Also, Monica…Wir sind uns einig, dass alle Männer Hunde sind, und Sie wissen, dass ich mit vielen Frauen ausgehe. Sie wissen auch, dass ich einen Job habe, nicht deale und keine Drogen nehme. Wenn Sie also nichts dagegen hätten, mit mir auszugehen, würde ich Sie gerne zum Abendessen einladen.«
Die Ampel schaltete auf Grün, aber Monica blieb stehen.
Sie war deutlich kleiner als ich, aber nicht annähernd so stämmig, wie ich gedacht hatte.
»Warum wollen Sie mit mir ausgehen?«
»Als ich sagte, dass ich traurig bin, wollten Sie mir im ersten Moment die Hand auf den Arm legen und sagen, dass alles in Ordnung kommt. Aber Sie haben es dann nicht getan, weil Sie mich nicht gut genug kennen.«
»Natürlich nicht.« Ihr Lächeln kehrte zurück, wie das erste Licht, das morgens die Dunkelheit durchbricht.
»Wenn wir zusammen essen gehen, lernen Sie mich besser kennen, und wenn ich dann wieder traurig bin, können Sie mir ruhig die Hand auf den Arm legen.«
»Ist das alles, was Sie wollen?«
»Im Moment bin ich schon glücklich, hier mit Ihnen zu stehen.«
»Heute Abend?«, fragte sie.
»Morgen.«
»Wohin gehen wir?«
Ich gab ihr die Adresse meines italienischen Stammlokals an der Sixth Avenue.
»Um wie viel Uhr?«
»Sieben?«
»Okay. Ich komme.« Sie machte einen Schritt auf die Straße, aber die Ampel war längst wieder auf Rot gesprungen.
Ein heranrasender Wagen hupte laut, und ich packte sie am Arm und zog sie zurück auf den Bürgersteig.
Statt mir zu danken, fragte sie: »Kennen Sie diese Frau wirklich, diese Marie Tourneau?«
»Ja, Ma’am.«
Die Ampel wurde grün, und ich ließ sie los.
Zusammen gingen wir zum U-Bahn-Eingang, und da trennten wir uns. Sie hatte schon den halben Weg zum College zurückgelegt, als sie sich noch einmal umdrehte. Ich winkte ihr zu, und sie fing aus vollem Halse an zu lachen.
»Ich dachte, Sie kämen um fünf«, sagte die kleine Linda Chou, als sie das Büro meines alten Freundes Brad Mettleman aufsperrte.
Sie hatte bereits abgeschlossen, und ich konnte sehen, dass sie gerade erst ihren rubinroten Lippenstift aufgefrischt und die rasierklingendünnen Maskara-Striche an ihren Augen nachgezogen hatte.
Sie war höchstens fünfundzwanzig und dünn. Nicht unterernährt wie die Kinder auf Lucys Fotos, aber drahtig wie die alten Männer und Frauen, die unter der Armutsgrenze auf Farmen im Mittleren Westen leben, wo die Leute noch vor Ehrfurcht erschaudern, wenn sie von Gott, der Sünde und George Washington reden hören.
»Es tut mir leid«, sagte ich, »wirklich. Ich saß in der U-Bahn…. geriet ins Grübeln… Und schon war ich an der 135. Straße.«
»So weit sind Sie gefahren?« Sie konnte wunderbar große Augen machen.
»Es tut mir leid«, sagte ich noch einmal. »Erst bin ich unhöflich, und dann lasse ich Sie warten.«
»Das macht nichts. Die Blumen sind so schön. Möchten Sie sie sehen?« Sie lächelte und neigte ihren Kopf etwas zur Seite.
Mit einer spielerischen Geste fasste sie den Ärmel meiner braunen Jacke und zog mich aus dem Eingangsbereich in ihr Büro.
Die gelben Rosen waren wirklich schön. Sie standen in einer schlanken gläsernen Vase, ohne das Grünzeug, das so viele untalentierte Blumenhändler gewöhnlich benutzen.
»Die Rosen passen zu Ihnen«, sagte ich und sah sie an.
Sie biss sich auf die Unterlippe, und ich bedauerte, dass ich später mit Brenda verabredet war, wer immer diese Brenda auch sein mochte.
»Was wünschen Sie, Mr Carmel?«
»Warum setzen wir uns nicht?«, schlug ich vor.
Vor ihrem Arts & Craft-Schreibtisch aus massiver Eiche standen zwei Besucherstühle. Sie setzte sich auf den einen, ich mich auf den anderen. Unsere Knie waren nur Zentimeter voneinander entfernt.
Meine Tage waren gezählt, da war ich mir sicher. Ich konnte Johnny Fry umbringen, aber ich bezweifelte, dass ich damit durchkäme. Die Polizei würde mich verhaften oder gleich erschießen, und vor Gericht drohte mir die Todesstrafe oder lebenslange
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