Rache an Johnny Fry
Ich bringe ihm meine Seiten. Was hast du gemacht?«
»Nichts. Gearbeitet.«
»Keine interessanten Anrufe?«
»Nein. Ich…«
»Ja?«
»Ich muss nächste Woche nach Baltimore. Sie lesen eine Messe für meinen Onkel.«
»Warum solltest du da hinfahren?«, fragte ich.
»Ich habe das Gefühl, ich muss«, sagte sie und klang dabei irgendwie komisch.
»Ich begleite dich«, bot ich ihr an.
»Nein.«
»Ich denke, ich sollte mitkommen. Ich meine, nachdem wir darüber gesprochen haben, habe ich das Gefühl, das alles hat auch mit mir zu tun.«
»Nein, L. Das ist etwas, das ich allein tun muss.«
»Oh. Okay.«
»Kommst du später noch?«, fragte sie so süß, dass ich einen Augenblick lang vergaß, wie stumpfsinnig und banal unsere Liebe war.
»Okay«, sagte ich. »Ich komme.«
Es war kurz nach halb neun, als ich den Grand Central erreichte. Der Verkehr ebbte ab, trotzdem waren noch viele Leute unterwegs.
Ich ging in einen Buchladen und suchte nach einem Roman, den ich hätte lesen können, während ich auf Brenda wartete. Ich blätterte durch John Updike, Colson Whitehead, Philip Roth und das Sexbuch eines bekannten Fernsehstars, aber ich merkte schnell, dass ich nicht in Leselaune war.
Ich war wütend und fühlte mich von Cynthia verraten. Und je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich.
Warum konnte ich niemandem trauen? Warum betrogen mich alle?
Ich ging zu einer Telefonzelle und gab die Nummer gleich im ersten Anlauf richtig ein. Ihr Telefon klingelte dreimal, dann meldete sich ein Anrufbeantworter.
»Hier ist Cynthia, ich telefoniere gerade, rufe aber gerne zurück, wenn du deinen Namen und deine Nummer hinterlässt«
»Ich bin’s, Cordell«, sagte ich ohne besonderen Tonfall. Ich gab ihr die Nummer des öffentlichen Fernsprechers, vor dem ich stand und hängte ein.
Dreißig Sekunden später dachte ich, was für ein Narr ich doch sei, dort zu stehen und darauf zu warten, dass sie zurückrief. Da klingelte es.
»Hallo?«
»Cordell?«
»Warst du gerade in einem Gespräch?«
»Ich habe auf deinen Anruf gewartet. Wie geht es dir?«
»Ich fühle mich irgendwie betrogen von dir.«
»Oh, bitte nicht«, sagte sie. »Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich Brenda anrufen soll, und bin mir daher sicher, du solltest sie treffen und mit ihr sprechen. Ganz sicher.«
»Wer ist sie?«
»Jemand, der dir auf deiner Reise weiterhelfen wird.«
»Was ist sie? Eine Therapeutin? Eine Prostituierte?«
»Sie ist eine sehr starke Frau. Eine Frau, die deinen Kummer verstehen wird.«
Kummer.
»Cynthia«, sagte ich. »Du kannst mich keinesfalls gut genug kennen, um mich mit einer Frau zusammenzubringen.«
»Das will ich auch gar nicht«, sagte sie. »Darum geht es nicht. Aber dieses Treffen mit Brenda könnte zu einem Wendepunkt in deinem Leben werden. Es könnte dir begreiflich machen, wie wichtig es für dich ist, deinen Mitmenschen gegenüber offen zu sein.«
Ich wollte wütend sein, konnte es aber nicht. Die Sorge in Cynthias Stimme war echt, und das allein zählte für mich.
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte ich. »Ich fange langsam an zu glauben, dass ich dieses Trauma mit Jo nicht überlebe.«
»Hast du mit ihr darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Ist sie zu ihrem Liebhaber zurückgekehrt?«
»Ich glaube, sie hat es vor. Sie fahren zusammen nach Baltimore, um an einer Messe für den Onkel teilzunehmen, der sie missbraucht hat.«
»Was gibt dir das für ein Gefühl?«
»Ein beschissenes.«
»Was willst du jetzt tun?«, fragte sie.
»Es gibt ein paar Dinge, die ich dir nicht sagen kann, Cynthia. Ich hoffe, dafür hast du Verständnis.«
»Vollkommen. Aber du musst wissen, dass du mir alles erzählen kannst. Alles. Ich werde immer auf deiner Seite sein.«
Diese Tage waren so voller Gefühle. Tränen stiegen mir in die Augen und schon rannen sie mir übers Gesicht. Ich wusste nicht, wohin ich mich wenden sollte, und so sagte ich: »Ich muss jetzt Schluss machen«, und hängte ein.
Ich ging die 42. Straße in Richtung Broadway, sah in die Schaufenster und dachte über die Liebe nach. Ich dachte an meine Mutter in ihrer Seniorenresidenz in Connecticut. Alle zwei Wochen rief ich sie an, und dann sprachen wir drei Minuten miteinander, manchmal auch weniger. Ich fragte, wie es ihr ging und ob sie etwas brauchte. Immer war alles in Ordnung, und sie brauchte nichts.
»Ich liebe dich«, sagte ich jedes Mal, nachdem wir uns bereits verabschiedet hatten.
Darauf sagte
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