'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Sie sich wie zuhause“, ließ Holt verlauten, während er den Kommissaren anbot, auf der Zweiercouch gegenüber dem Fernseher Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich in einen Sessel.
„Also, worum geht es denn genau? Wie kann ich Ihnen bei diesem Mord behilflich sein?“ Seine braunen Augen waren übermüdet, die schwarzen Haare stark durcheinander gewirbelt. Nora gewann den Eindruck, dass er erst vor wenigen Minuten aufgestanden war und noch keine Gelegenheit hatte, sich im Bad für den Tag vorzubereiten.
„Sie haben sich nicht sehr gut mit Ihrem Nachbarn verstanden, ist das korrekt?“
„Das ist wahr. Ich konnte den Kerl nicht ausstehen. Das ist kein Geheimnis. Aber ich habe ihn nicht umgebracht. Würde ich alle Menschen töten, mit denen ich mich nicht gut verstehe, dann wäre die Stadt bald wie ausgestorben.“ Zwar wieherte Holt los wie ein Pferd, doch Nora fiel auf, dass seine Augen unverändert reglos blieben. Seine Worte schienen nichts als die Wahrheit gewesen zu sein, auch wenn er diesen Umstand mit seinem Gelächter zu verschleiern versuchte.
„Wir haben nicht vor, Sie des Mordes an Ihrem Nachbarn zu bezichtigen.“
„Ach, kommen Sie schon. Ich bin doch nicht blöd. Der alte Stinkstiefel wurde ermordet, ich habe mich nicht gut mit ihm verstanden, folglich müssen Sie mich in den Kreis der potenziellen Täter aufnehmen. Das ist ganz klar. Sonst wären Sie keine besonders guten Ermittler.“
Nora legte ihren Kopf auf die Seite und sah Holt schief an. Sie wusste nicht, wie sie diesen Mann einschätzen sollte.
Als Holt ihren skeptischen Blick sah, sagte er: „Ich bin ein ehrlicher Mensch. Ich sage jedem Menschen ins Gesicht, was ich von ihm halte. Auf diese Weise mache ich mir zwar einige Feinde, aber meiner Erfahrung nach ist das die einzige Möglichkeit, um wirklich zu wissen, an wem man ist. Niemand kann behaupten, dass ich nicht aufrichtig wäre.“
„Und was wollen Sie uns damit genau sagen?“
„Ich verschaffe meinem Ärger stets Luft, indem ich allen Menschen deutlich sage, was Sache ist. Folglich bin ich ein ausgeglichener und zufriedener Mann. Das wird Ihnen jeder meiner Bekannten und Verwandten bestätigen. Somit hatte ich überhaupt keinen inneren Antrieb, um diese schreckliche Mordtat zu begehen.“
„Das ist eine äußerst strikte Auffassung“, kommentierte Nora mit einer Mischung aus Anerkennung und Zurückhaltung.
„Das sagen alle“, winkte Holt ab. „Die Leute verlangen immer von einem, ihnen gegenüber ehrlich zu sein. Aber sobald sie auf jemanden treffen, der wirklich diese Wesensart hat, kommen sie damit nicht klar, weil sie die Wahrheit nicht verschmerzen können und insgeheim lieber in ihrer heilen Welt Schutz suchen.“
„Schutz zu suchen ist in der Regel recht klug“, gab Thomas zu bedenken.
„Schutz ist für die Schwachen. Jemand, der etwas im Leben erreichen will, muss Risiken eingehen und aus seiner Deckung hervorkommen. Das hat mir schon mein Vater beigebracht.“
Da sieht man wieder, wie einflussreich und prägend die Erziehung von Kindesbeinen an ist, dachte Nora.
„Ich beleidige die Menschen nicht“, fuhr Holt fort. „Ich finde lediglich deutliche, unmissverständliche Worte. Doch die meisten Personen fühlen sich zu schnell angegriffen. Die sind zu weich für diese Welt. Das ist das Problem. Viele können nicht zwischen einer gut gemeinten Kritik und einer unnützen Beleidigung unterscheiden. Die verwechseln Energie mit Aggressivität. So ein Mensch war auch Manfred Meier. Deshalb haben wir uns nicht gut verstanden. Er konnte meine Lebensphilosophie nicht nachvollziehen. Ich denke über das Leben und die Menschen nach. Dieser Mensch hat das nie getan. Der wollte immer nur Geld verdienen und einen guten Ruf für sich und seine Familie ergattern. Das ist in meinen Augen krank. Es ist verschwendete Zeit, nur für Geld und Anerkennung zu rackern. Ich genieße lieber das Leben als solches.“
„Was machen Sie denn beruflich?“
„Ich bin Busfahrer.“
„Gefällt Ihnen dieser Job?“
„Natürlich.“
Da Holt anscheinend nicht über dieses Thema reden wollte, fragte Nora nach kurzer Zeit: „Haben Sie auf Ihre Weise jemals deutliche Kritik an Ihrem Nachbarn geübt?“
„Das könnte man so sagen. Damit konnte der Kerl nicht umgehen.“
„Könnten Sie das etwas genauer erläutern? In welcher Hinsicht und bei welcher Gelegenheit haben Sie Herrn Meier kritisiert?“
Holt lehnte sich in seinem Sessel zurück, überkreuzte die Beine und
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