'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Dinge solltest du wirklich nicht über mich wissen. Aber es gibt ein sehr interessantes, medizinisches Detail: Hast du schon einmal etwas von einem situs inversus gehört?“
„ Situs inversus ? Nein, davon habe ich noch nie gehört. Was ist das?“
„Das bin ich. Nun ja, es ist ein Teil von mir. Ein entscheidenderTeil.“
Weil Nora ihm nicht folgen konnte, fragte sie: „Könntest du mich mal aufklären? Was redest du da? Was ist ein situs inversus und was hat es mit dir zu tun?“
„Ein situs inversus ist eine spiegelverkehrte Anordnung der inneren Organe.“
Nach diesem Satz herrschte eine ganze Weile Stille im Krankenhauszimmer. Nora sah Tommy starr an und schien zu überlegen, ob er bei Xenias Angriff ernsthafte Gehirnschäden erlitten hatte. Deshalb hakte sie nach: „Geht es dir gut? Soll ich lieber den Arzt holen?“
„Das kannst du gerne machen. Er kann dir dann in der medizinischen Fachsprache erklären, was es mit einem situs inversus genau auf sich hat.“
„Eine spiegelverkehrte Anordnung der inneren Organe? Soll das etwa bedeuten, dass dein Herz ... dort ist?“ Sie zeigte auf Tommys rechte Brustseite.
„So ist es. Das klingt für dich wahrscheinlich völlig verrückt. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber zwischen Himmel und Erde gibt es viele Dinge, von denen man nichts ahnt, falls man sich nicht zwangsweise mit ihnen beschäftigen muss.“
„Das ist wohl wahr.“
„Im Grunde verbirgt sich hinter einem situs inversus aber nichts allzu Besonderes. Bei jedem Menschen gibt es Moleküle, die jeweils die individuelle Größe, Form und Lage der inneren Organe festlegen. Falls diese Moleküle nicht in den herkömmlichen Regionen des Körpers gebildet werden oder erst gar nicht entstehen, dann können sich daraus verschiedene Krankheiten entwickeln. Wobei das Wort ‚Krankheit’ in diesem Zusammenhang nicht zwangsläufig richtig ist.“
Nora lauschte Tommys Worten mit einer Mischung aus Faszination und Verwirrung.
„Wenn ich ehrlich bin“, gab Thomas zu, „dann habe ich selbst auch keine richtige Ahnung von diesem medizinischen Phänomen. Die Ärzte werfen immer mit Fachausdrücken herum, die ich nicht verstehe. Deshalb kann ich dir auch nur die wesentlichen Aspekte nennen.“
Nora trocknete ihre Tränen. „ Situs inversus ? Wie viele Menschen haben denn diese Krankheit? Und wie gefährlich ist sie?“
„Einer von etwa 15000 Menschen wird mit einem situs inversus geboren. Diese ‚Krankheit’ ist im Allgemeinen nicht gefährlich, solange die natürlichen Funktionen der Organe nicht beeinträchtigt sind. Entscheidend ist nämlich immer die Ausrichtung der einzelnen Organe zueinander. Bei einem situs inversus liegen einige Organe zwar spiegelverkehrt im Körper, sind aber häufig auf dieselbe Weise zueinander ausgerichtet wie bei ‚normalen’ Menschen. Zudem sind sie meistens voll funktionstüchtig. Bei mir ist das zum Glück der Fall.“
Nora atmete tief durch. „Ich verstehe. Und weil dein Herz auf der rechten Seite deines Körpers liegt, hat Xenias Messerangriff keinen lebensbedrohlichen Schaden angerichtet?“
„Genau. Ich habe zwar viel Blut verloren und höllische Schmerzen in der Brust, aber in ein paar Wochen werde ich schon wieder auf den Beinen sein. Zumindest haben die Ärzte mir das versprochen. Mich bekommt man nun einmal nicht so schnell klein.“
Nora lächelte. „Ich bin so unfassbar froh, dass du noch lebst. Als ich dich heute in Xenias Wohnung liegen sah, glaubte ich wirklich, dass du tot wärst. Dieses schreckliche Bild werde ich bestimmt nicht so schnell aus meinem Gedächtnis verdrängen können.“
„Unkraut vergeht nicht.“ Thomas schob die Bettdecke herunter. Dann kratzte er sich an seiner Narbe, legte den Kopf zurück ins Kissen und wollte in Erfahrung bringen: „Was ist denn eigentlich mit Xenia? Habt ihr sie erwischt? Ist sie schon in der Direktion?“
„Leider nicht. Sie ist mir entwischt. Dabei hätte ich sie so gerne direkt ins Gefängnis geschleift.“
„Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie hinter den Morden steckt und mich tatsächlich angegriffen hat. Sie kann keine eiskalte Mörderin sein! Ich begreife das nicht.“
„Sie hat sich wahrscheinlich an dich herangemacht, um dir wertvolle, interne Informationen zu entlocken. Bestimmt ist das von Anfang an ihr Plan gewesen. Dafür musste sie sich natürlich verstellen. Ich schätze, du wurdest von ihr genauso getäuscht wie ich von Max. Manche Menschen kennen keinen Skrupel.
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