'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
der Regel benötige ich mindestens vier Taten, um eine einigermaßen sichere Vorhersage treffen zu können.“
„Vier Morde?“, stieß Tommy aus. „Heißt das etwa, wir sollen abwarten, bis der Täter noch ein weiteres Mädchen getötet hat?“
Wolf äugte ihn abschätzend an. „Sie können gerne ein neues System entwickeln, wenn Sie dazu in der Lage sind, Herr Kommissar.“
„Ich bevorzuge die Bezeichnung ‚Kriminalhauptkommissar’“, gab Tommy ebenso schlagfertig wie provokant zurück.
„Interessant“, wisperte Wolf vor sich hin, bevor er seinen Blick von Tommy zu den übrigen Anwesenden schweifen ließ. „Gibt es noch weitere kindische Kommentare dieser Art?“
Schweigen. Die Ermittler wollten sich offensichtlich nicht mit Wolf auf unnötige Diskussionen und Machtspiele einlassen.
„Schön, dann lassen Sie uns endlich zur Sache kommen“, begann der Glatzkopf schließlich. „Also, nicht nur in den USA beschäftigen sich sachkundige Fallanalytiker seit längerer Zeit mit der Aufgabe, ein einheitliches Profil des Typus ‚Serienmörder’ zu entwickeln. Zugegeben, das FBI-Zentrum für Verhaltensforschung in Quantico ist uns in dieser Hinsicht um Einiges voraus. Allerdings bedeutet das nicht, dass sich nicht auch hier in Deutschland fähige Experten erfolgreich darum bemühen, die Taten ehemaliger Serienstraftäter zu systematisieren.“
„Und Sie sind ein solcher Experte?“, rutschte es Thomas mit einem verächtlichen Beigeschmack heraus. Kortmanns mahnender Blick ließ ihn jedoch schnell verstummen. Gleichwohl fiel es ihm schwer, diesem hochnäsigen BKA-Beamten nicht gehörig kontra zu geben. Schließlich war Tommy ein Mann, der sich nicht gerne vorführen ließ. Schon gar nicht von so einem eingebildeten, selbstverliebten Schnösel wie Wolf.
„Jedoch unterscheidet sich der amerikanische Serienmörder in einiger Hinsicht vom deutschen“, fuhr dieser unbeirrt fort. „Allein schon die kulturellen Unterschiede spielen diesbezüglich eine wesentliche Rolle.“
„Das leuchtet ein. Aber worin bestehen diese Differenzen im Einzelnen?“, wollte Nora wissen.
„Tja, diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ehe ich auf die wichtigsten Unterschiede zu sprechen komme, muss ich Sie mit Nachdruck darauf hinweisen, dass es sich bei meinen Ausführungen lediglich um idealisierte Profile handelt. Natürlich helfen diese Profile bei einer ersten Annäherung an den Täterkreis, aber das Individuum selbst lässt sich durch ein solches Raster nicht hundertprozentig analysieren.“ Die nächsten Sätze schien Wolf sich bereits vor Beginn der Besprechung zurechtgelegt zu haben, denn er leierte sie monoton herunter: „Der durchschnittliche deutsche Serienmörder zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften aus. In der Regel ist er männlich, zwischen 18 und 40 Jahren alt, mäßig intelligent und kinderlos. U ngefähr siebzig Prozent dieser Täter werden von einer sozialen Problematik angetrieben. Darüber hinaus suchen sich viele dieser Mörder ihre ersten Opfer in einem Umkreis von dreißig bis vierzig Kilometern um ihren jeweiligen Wohnort.“ Er schritt hinüber zu einem Flipchart, das neben der Magnetwand stand, und blätterte dessen erste Seite nach hinten um. Auf dem zweiten Blatt kam eine zweispaltige Tabelle zum Vorschein. Über der linken Spalte stand in Druckbuchstaben ‚planvoll’, über der rechten ‚planlos’ geschrieben.
„Im Allgemeinen unterscheiden wir zwei Arten von Serienmördern. Zum einen den planvoll, zum anderen den planlos vorgehenden Täter. Selbstredend weisen beide Profile eigene Charakterzüge auf, trotzdem vereinen die meisten M örder Eigenschaften beider Muster. Der planvoll vorgehende Täter hat in der Regel eine feste Beschäftigung, ist verheiratet oder führt zumindest eine feste Beziehung, und verfolgt sein Ziel äußerst geradlinig. Er plant jeden einzelnen Schritt im Voraus. Dabei zieht er eventuelle Komplikationen und Folgen in Betracht und schlägt erst dann zu, wenn er sich absolut sicher ist, seinen Plan gut durchdacht zu haben.“ Das Schweigen im Raum bewies Wolf, dass er die volle Aufmerksamkeit der Ermittler genoss. Daher fuhr er fort: „Wie beim hiesigen Fall kann es vorkommen, dass der planvolle Täter fingierte Indizien hinterlässt. Demnach möchte er einen Machtkampf mit der Polizei führen. Er will, dass Sie an bestimmte Hinweise gelangen, um auf seinen Informationsstand zu kommen. Er begehrt danach, Sie auf Augenhöhe zu haben. Denn
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