'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Oberkörper. Prompt konnte Nora den abscheulichen Schnitt durch dessen Kehle sehen.
Das darf alles nicht wahr sein! Das kann nicht …!
Nora schreckte zurück. Ihr Blick war auf das riesige Loch in der Glasscheibe der Hintertür gefallen. Feuchter Schweiß triefte ihr aus allen Poren, als sie die vereinzelten Scherben sah, die noch von der Oberkante der Tür herabragten.
Nach wenigen Sekunden des Zögerns trat sie auf das Loch zu, die Waffe fest im Anschlag. Sie befestigte die Taschenlampe auf deren Lauf, um in Schussrichtung alles sehen zu können. Dann hockte sie sich vor das Loch in der Glastür und leuchtete in das Wohnzimmer hinein.
Im nächsten Moment ertönte ein lauter Knall. Wie eine Explosion durchbrach er die Nachtruhe. Nora erkannte sofort, dass es sich dabei um einen Schuss handelte.
Reflexartig huschte sie durch das Loch in der Tür. Sie leuchtete in Richtung Flur, wo sie den Schuss lokalisiert hatte. Doch der bronzefarbene Vorhang der Mittelwand hing derzeit so weit vor dem Übergang, dass Nora den Flur nicht einsehen konnte. Gleichwohl hörte sie männliche Schritte und heftiges Gepolter nahe der Haustür.
„Rafael? Wo bist du? Ist alles in Ordnung?!“ Sie schlich durch das dunkle Wohnzimmer. „Sag etwas, Rafael! Gib mir ein Zeichen!“
Ein klagender, männlicher Schrei erklang. Sekunden darauf verlangte eine weibliche Person: „Helft mir! Helft mir, schnell!“
Jemand stolperte die Wendeltreppe hinter dem Vorhang herab und fiel auf die Fliesen im Flur. Noras Zeigefinger zuckte am Abzug. „Wer ist dort? Wer zum Teufel ist dort?!“ Voller Hast stürmte sie los. Sie raste auf den Vorhang zu und riss ihn zur Seite.
Auch im Flur war alles dunkel. Lediglich durch das Fenster neben der Haustür schimmerte ein wenig Licht von der Straßenbeleuchtung herein.
„Macht das Licht an!“, schrie eine Männerstimme. „Jetzt! Los!“
Nora zuckte zusammen. Aus dem Nichts hetzte eine männliche Gestalt auf sie zu. Der Fremde kam schräg von der Seite und überrumpelte sie mühelos.
„Nein!“, brüllte sie und schlug um sich. Dann wollte sie einen ersten Schuss abfeuern, doch im selben Moment flehte der Mann: „Nicht schießen! Ich bin es, Bill! Nicht schießen, nicht feuern!“ Er stieß sie mit beiden Armen zur Seite, spurtete an ihr vorbei und betätigte den Schalter für das Deckenlicht.
Obwohl Nora von Bill gegen die Wand gestoßen worden war, realisierte sie als Erste, was geschehen war. Anna lag zusammengekauert zwischen Küche und Wohnzimmer. Sie starrte apathisch auf Jasmin herab, die bewusstlos vor ihr lag. Die Jeans der 16-Jährigen war auf Kniehöhe zerrissen, ihre Haut völlig abgeschürft, das weiße Top mit Blutflecken gespickt.
Bill, der mit glasigen Augen ebenfalls Jassi anblickte, stand versetzt hinter Anna am Lichtschalter. Er beugte sich in Windeseile zu Jassi hinab und flehte: „Sag etwas, Jasmin! Sag doch etwas!“
Gleichzeitig erstarrte Nora zu Salzsäule. Wie in Trance ließ sie ihre Waffe sinken. Mit Blick auf die geschlossene Haustür fiel ihr Kiefer herab: Direkt vor der Tür lag der leblose Körper eines Mannes am Boden. Nora schlug die Hände vors Gesicht. „Das darf nicht wahr sein! Das ist unmöglich!“
„Was ist?!“ Bill blickte sie konsterniert an, forderte aber sogleich: „Helfen Sie Jasmin, verdammt! Sie reagiert nicht!“
Nora steckte ihre Waffe zurück ins Holster und hastete auf die Leiche des Mannes zu, die sich der Länge nach auf dem Bauch befand. Sie fischte ihr Handy aus der Tasche und alarmierte den Notarzt. Anschließend forderte sie Verstärkung bei der Zentrale an.
Bill sah verstört zu ihr, wobei er so rasch aufstand, dass er beinahe aus dem Gleichgewicht gerissen worden wäre. Im letzten Moment fand er noch einen festen Stand und befahl Anna: „Halte Jasmin fest, los!“
Wimmernd kroch Anna aus der Ecke und nahm ihre Tochter in den Arm. Dabei tropften ihre Tränen auf Jassis Gesicht. „Ist sie … tot? Bitte nicht, Gott! Bitte lass sie nicht sterben!“ Sie drückte ihr Gesicht an Jasmins Schulter und schloss die Arme um ihre Tochter. „Ich hab dich so lieb, Schatz! Ich hab dich so sehr lieb!“
Unterdessen kniete Nora sich vor den reglosen Körper des Mannes. Zu ihrem Leidwesen hatte sie ihn inzwischen einwandfrei identifiziert: Es war Rafael Contento.
In seiner rechten Schläfe prangte ein Einschussloch. Aus diesem floss Blut heraus und verlief auf den Fliesen zu einer dickflüssigen Masse. Nora tastete nach seiner
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