Rache: Die Eingeschworenen 4
nur ein Ohr hatte, das andere hatte er im Kampf verloren.
» Wer weiß, was die Nornen weben«, erwiderte er achselzuckend. » Heute könnte mein Tag gekommen sein oder auch nicht– aber du kannst diese Brücke nicht allein halten.«
Er grinste.
» Knochen, Blut…«, sagte er.
» …und Stahl«, beendete ich den Satz.
Er legte die Scheide und den Mantel ab, denn beides würde ihn im Kampf nur behindern. Er prüfte die Riemen seines Helms und setzte ihn auf, dann rollte er ein paar Mal mit den Schultern, denn das rostige Kettenhemd gehörte ihm nicht, und er wollte, dass es richtig saß. Dann setzte er sich hin und lehnte sich gegen die Mauer der Brücke, während unter uns das Wasser plätscherte.
Ich beneidete und hasste ihn zugleich; Finn, der Mann, der sich vor nichts fürchtete. Wie kam es, dass er nicht zitterte und nicht diesen großen Knoten im Hals spürte? Irrsinnige würden uns angreifen, in Tierpelze gehüllt und vor Wut schäumend, und er war klug genug, um das zu wissen. Aber er öffnete nur träge ein Auge und fragte, wer Assur wohl gewesen sein könnte.
Es war die Inschrift auf dem grauen Stein der Brücke, verwittert und mit Flechten überzogen: » Helga, Tochter des Thorgar, Schwester von Sygrida und Gauts und anderen, hat diese Brücke für Assur, ihren Mann, bauen lassen und diesen Stein aufgestellt. Er war ein eingeschworener Wächter des Gaut. Möge der Mensch, der dieses Denkmal zerstört, Seidr ausüben und davon heimgesucht werden.«
» Ein guter Fluch, dieser letzte Satz– siehst du, es ist eine Warnung für jeden, der dieses Denkmal entweiht. Es sagt aber auch, dass er das Denkmal dadurch zerstören wird. Das war ein kluger Runenschneider.«
» Auf jeden Fall war dieser Assur ein angesehener Mann«, sagte ich, denn ich erkannte die Macht der Runen. Nur sein Name überlebte, aber man würde sich an diesen Assur erinnern, solange der Stein stand, und wir wussten, dass er eine liebende Frau und Schwestern hatte, die ihn so schätzten, dass sie für ihn Runen schneiden ließen.
» Ein Eingeschworener, wie wir«, bemerkte Finn grinsend. Ein guter Ort zum Sterben also, unter dem Denkmal eines Waffenbruders.«
Da war ich mir nicht so sicher– auf einer dämlichen Steinbrücke, die ins Nichts führte. Aber vielleicht sehr passend zu dem Leben, das wir geführt hatten. Finn runzelte die Stirn, als ich das aussprach.
» Sie führte einst zu den besten Bäumen in der Umgebung«, erklärte er. » Hier gab es gute Kiefern und Harz für den Schiffbau. Aber das ist jetzt auch egal. Wir decken hier schließlich den Rückzug eines Prinzen, und was könnte es Ehrenvolleres geben für die berühmten Eingeschworenen von Orm, dem Bärentöter? Und außerdem ist es auch jetzt noch ein schöner Flecken Erde.«
Zu gern hätte ich ihn daran erinnert, dass wir einst sogar die berühmten Eingeschworenen von Einar dem Schwarzen gewesen waren– und wohin hatte es geführt? Aber Finn hatte recht, was die Landschaft betraf, und ich hob das Gesicht zur Sonne und betrachtete die Seeschwalben und die schneeweißen Wolken. In dem Bach unter uns fing das Leben an; hier schmolz der Schnee und floss hinunter ins warme Meer, wo die Sonne ihn aufsog und über die Berge schickte, bis er wieder als Schnee fiel.
Das Lebensgewebe der Nornen– ich trank es mit den Augen wie ein Verdurstender köstliches Wasser.
Plötzlich sprang Finn auf und sagte: » Sie sind hier.«
Sie kamen auf dem unebenen Trampelpfad auf die Brücke zugerannt und blieben stehen– zwei Männer mit Speeren, aber ohne Rüstung und Helm. Allerdings hatten sie Schilde, und in ihren Gürteln steckten Messer. Sie standen da, misstrauisch wie Wölfe beim Anblick zweier Krieger in Kettenhemden, gut bewaffnet und mit Schilden.
Randrs Späher, dachte ich, und Finn gab mir recht, indem er in ihre Richtung ausspuckte. Ich hätte auch gespuckt, aber mein Mund war wie ausgetrocknet.
Sie duckten sich etwas, und einer sah über seine Schulter nach hinten. Kurz darauf erschienen drei weitere, und ich merkte, wie Finn leicht zusammenzuckte und sich hinter seinen Schild zurückzog– es waren Bärenhäuter. Aber nur drei von ihnen, und ich fragte mich, wo die anderen wohl waren.
Einer hatte hellbraunes Haar und einen gewaltigen Bart, der zu mindestens vier schweren Zöpfen geflochten und mit Eisenringen zusammengehalten war. Über seiner schmutzigen Kleidung, die früher einmal schön gewesen sein mochte, trug er einen Umhang aus steifem Leder, das aussah
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