Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
verschwunden. Ich war sichtlich froh, dass ich bei ihr noch zehn DM Schulden hatte. Nun gab es einen Grund, bei ihr wieder aufzukreuzen.
Vom Regen ins Ungewisse
Ich hatte noch einen Trumpf in der Tasche. Es bestand die Möglichkeit, in einem neu eröffneten Restaurant des Leipziger Hauptbahnhofes die Tätigkeit eines Aushilfskellners zu übernehmen. Dieses Lokal befand sich im Mittelgang von der Ost- zur Westhalle und nannte sich ursprünglich »Flotte Achse«. Weil die Inhaberin, Ella Pallhuber, diesen Namen albern fand, taufte sie diese Gaststätte in »Bahnhofsstübchen« um. Das klang zwar nicht so salopp, dennoch war diese gastronomische Einrichtung mehr ein Nullachtfünfzehndomizil für gestresste Bahn-Kunden. Dort stellte ich mich gleich am nächsten Tag vor. Die Inhaberin war eine schmalhüftige, damenbärtige Frau mit breitem Oberkörper, großem Busen und knallig geschminkten Lippen. Im Nacken trug sie zwar einen Pferdeschwanz, doch männliche Merkmale dominierten trotzdem. Sie hatte die Arme verschränkt und wirkte wie ein Rausschmeißer. Ich versuchte, freundlich zu lächeln, doch daraus wurde ein verlegenes Grinsen – ich gefiel mir selbst nicht! Dabei hatte ich das Gefühl, ich sei vom Regen in die Traufe gekommen. Vorsichtshalber hatte ich mich mit zwei blankgewienerten Paar Schuhen ausgerüstet, eins für den Innendienst und eins für die Straße. Der Pallhuber war es absolut wurst, mit welchen Klamotten meine Füße dekoriert waren – wenigstens war ich diese Sorge los. »Für die Eintachsfliegen in meiner Kaschemme sind Ihre Bodden gut genug!«, sagte sie sehr leise. Mit ,Eintagsfliegen‘ betitelte sie die Reisenden, die eben keine Stammgäste waren und nur ihre »Gastrolle« spielten, quasie auf Nimmerwiedersehen und mit »Bodden« waren meine Schuhe gemeint. Allerdings monierte sie meine Oberbekleidung, die vor Arbeitsantritt durch ein dunkel-neutrales Jackett ersetzt werden müsste. Da Frau Pallhuber ihre eigene gastronomische Einrichtung Kaschemme nannte, verlor ich alle Hemmungen. Außerdem schien der Feldwebelin Pallhuber meine Visage in den Kram zu passen, im Gegensatz zu Wackernagels Angriff auf meine Anatomie. Das stimmte mich einigermaßen zufrieden. Wiederum erkannte Frau Pallhuber meine bisherige Tätigkeit als Beikoch nicht an und meinte, beikochen und kochen seien überhaupt zweierlei Dinge und das Kundenbedienen hätte schon gar nichts damit zu tun. Außerdem war sie der Meinung, dass es mir jetzt dreckiger ginge, als vorher, weil ich nun den elenden Tabakqualm der Gäste inhalieren müsste. Es sei überhaupt eine Schweinerei, wenn die Gäste während der Mittagszeit rauchten wie die Stadtsoldaten, doch ein Rauchverbot würde einem guten Umsatz abtrünnig. Aus diesem Grund ließ Frau Pallhuber das erst kürzlich entworfene Pappschild mit der Aufschrift: Rauchen zwischen 11 und 13 Uhr verboten! wieder verschwinden. Trotzdem schimpfte sie wie ein Rohrspatz auf die Raucher. Darauf brannte sie sich ein pechschwarzes, überlanges Zigarillo an und blies die erste Rauchwolke dicht an meinem Kopf vorbei. Dann führte sie mich durch die Gaststube. Währenddessen trat sie wahlweise gegen die Stuhlbeine, sodass die Stühle einigermaßen in Reihe und Glied standen. Es sah aus, als befände sich die Pallhuber auf einem Kickboxring. Nebenbei wirbelte sie mit einer Serviette Aschenkrümel von den Tischdecken. Sie riet mir, ich solle die Tische nummerieren und die Speisen den Tischnummern zuordnen. Das sei für mich als Anfänger notwendig, um die Speisen ohne unnötige Umwege an die richtigen Tische befördern zu können. Und das blöde Gefrage vom Kellner, ob das jeweilige Schnitzel z.B. an die Sieben kommen soll, obwohl es zur Fünf gehört, sei für Kunden, die keine Zeit haben lästig, doch für manche ein gefundenes Fressen, im wahrsten Sinn des Wortes! Der »falsche« Gast, der eigentlich fünfundvierzig Minuten auf Gebratenes warten müsse und einen ,schnellen Griesbrei’ bestellt habe, grapschte sofort zu, weil ihm eingefallen ist, dass so etwas nichts für Männer ist. Sie war mit ihrer Standpauke noch nicht fertig: »Dann erzählt er Ihn’ ooch noch, dass sein Zuch jeden Moment aus ‘m Bahnhof rollt un dor Kampf der Tischnummer 5 um‘s bestellte Gericht entbrennt!« Ich verbiss mir das Lachen. Frau Pallhuber hatte natürlich Recht! Jetzt angelte sie mit dem rechten Fuß zwei Stühle unterm Stammtisch vor und bat mich, Platz zu nehmen. Dann jagte sie mich schon wieder vom Stuhl
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