Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
dafür hatte die Pallhuber für die Zeit während ihrer Abwesenheit gesorgt. Das fand ich sehr anständig.
Nun begann wieder mal eine Art Feuertaufe, weil ich eben für die Zeit der Abwesenheit der Chefin auf mich allein gestellt war. Das Leben in einer Bahnhofskneipe war schon immer schnelllebiger, als das in einem gewöhnlichen Restaurant. Und weil sich dieser blecherne Uhrzeiger stets in Bewegung befand, hielt er auch die Gäste stets im Trab und vermieste somit ihr Dasein. Das waren eben die Leute, die meine Chefin Eintagsfliegen nannte. Der Gaststätte war übrigens ein großes Warenlager angegliedert. Es beherrbergte allerlei Inventar, vom Koffer bis zum Regenschirm und vom Hund bis zur Angorakatze. Gott sei Dank war erstgenanntes Inventar tot, aber grauenvoll war es, wenn ein Tier vorsätzlich zurückgelassen wurde. Und weil gestern so etwas vorkam, baute ich einen heißen Draht zum Tierheim auf. Eigentlich hätte ich schon allein darüber ein Buch schreiben können, denn den Stoff dazu durfte ich life erleben.
Für das Gaststättengewerbe war ich viel zu sensibel. Die Pallhuber war in gewissem Sinn gerecht und verschonte mich mit Kündigungsdrohungen, wenn ich mal einem ungehörigen Gast die Meinung geigte. So war es vor kurzem, als sich ein krawattierter Gast ohne zu grüßen an unseren Stammtisch pflanzte. Ich machte diesbezüglich den Anfang und wünschte lautstark einen guten Tag – keine Reaktion! Der Gast schnipste mit den Fingern und verlangte die Speisekarte. Als ich sie brachte, fragte er nach einem Gericht ohne Wartezeiten. Ich schlug ihm ein Bauernfrühstück mit Salatgarnitur vor und dokumentierte, dass es da trotzdem eine Wartezeit gäbe, aber höchstens zehn Minuten. »Was geht ‘n schneller?«, wurde ich gefragt. »Diverse Suppen!«, antwortete ich. »Ach so«, ergänzte ich, »da hätten wir noch Zigeunergulasch mit Klößen, das könnte ich Ihnen sofort servieren!« »Bevor ich das aufgegessen habe, ist mein Zug abgefahren!«, antwortete der Gast. Ich fragte höflich, wann der betreffende Zug eintreffen würde. »Wenn das so weitergeht, verpasse ich wirklich meinen Zug, außerdem ist es völlig wurst, wann der Zug eintrifft – die Abfahrt ist wichtig!«, war die Antwort. Dann nahm mein Gast die Speisekarte in die Hand und schmiss sie zurück auf den Tisch. Ich hatte den Kanal wieder mal voll. »Bringen Sie mir ein Bier!«, so der Gast. »Sehr wohl!«, sagte ich. »Halt!«, befahl er mir wieder, »ich nehme doch ein Zigeunergulasch!« »Sehr wohl!«, sagte ich und bestellte dieses Gericht in der Küche. Dabei hoffte ich, meinen Gast endlich zufrieden gestellt zu haben. Dummerweise vergaß ich, das Besteck mitzubringen, während ich den Zigeunergulasch servierte. Der Gast fuhr vor Wut fast aus dem Anzug. »Soll ich mit den Fingern essen?«, keifte er. Alle anwesenden Gäste fixierten mich mit Blicken, als hätte ich ein Verbrechen begangen. Im Hintergrund stand die Pallhuber und beobachtete jetzt das Treiben zwischen meinem Gast und mir. »Ich bringe Ihnen am besten einen großen Suppenlöffel!«, schlug ich vor, »dann sind Sie schneller fertig und bekommen vielleicht noch Ihren Zug!« Der Gast schaute mich wütend an. Ich spürte, dass er krampfhaft nach einer schlagkräftigen Retourkutsche suchte. Er klappte seinen Mund auf und schloss ihn wieder. Durch die Streitsucht dieses Gastes war viel Zeit vergangen. In der Zwischenzeit hätte ich locker drei ausgewachsene Gäste bedienen können. Ich stand nun neben dem Tisch, an welchem mein Gast saß. »Ich nehme den Zigeunergulasch wieder mit, denn inzwischen ist er kalt geworden – ich stell ihn kurz in die Mikrowelle, nicht?«, sagte ich, schnappte den Teller und tat es. Die Mikrowelle stand auf null, da blieb sie auch. Ich begab mich wieder an den Tisch dieses unangenehmen Gastes. Das Bier war bereits gezapft. Ich erinnerte den Gast daran, dass er es gerade bestellt hatte. »Sie müssen zum Zug?!«, fragte ich. In meinem Unterton ließ ich die Aufforderung mitschwingen, dass es an der Zeit sei, das Revier zu räumen. »Sie können, wenn Sie möchten, gleich bezahlen, da haben wir einen Aufwasch – macht einsfuffzich!«, sagte ich. Der Gast scharrte eine Menge Kleingeld in seinem Portemonnaie zusammen. Dann kippte er es um und die Münzen rollten kreuz und quer über den Tisch. Der Gast grinste und war mit seinem Racheakt zufrieden. »Recht vielen Dank, mein Herr!«, heuchelte ich. Es waren Zehner, Fünfer und Pfennige. Die Einsfünfzig
Weitere Kostenlose Bücher