Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
Vom Netzwerk:
selbst war es schon immer unsympathisch, obwohl ich das Spaghettiessen in Perfektion beherrschte. Vorsichtshalber empfahl ich mehrere Speisen, doch der Herr versteifte sich fest eben auf die No 20 und maßregelte mich auch noch, dass ich ihn unnötig aufhielte, zumal er an den Zug gebunden sei. Dann brachte ich ihm dieses Gericht. Der Gast versuchte, die langen, fadendünnen Nudeln einzeln auf die Gabel zu spießen. Dabei schaute er aller fünf Sekunden auf die Uhr und blickte schamvoll in die Runde, um zu prüfen, ob man ihn beobachten würde. Jetzt legte er die Gabel zur Seite und begann, mit einem Löffel zu arbeiten. Die Spaghetti rutschten immer wieder zurück auf den Teller. Dann versuchte der Gast, die Teigware mit dem Löffel zu zerhacken. Anschließend nahm er wieder die Gabel zur Hand und erwischte tatsächlich ein Spaghettibündel. Nun versuchte er, es zu überlisten um es in den Mund zu bekommen. Nach einer Weile war der Herr im ganzen Gesicht verfärbt wie ein zweijähriges Kind, das gerade essen lernt. Nun kam der Herr auf die Idee, sich eine Serviette viel zu spät in den bekleckerten Hemdkragen zu stopfen. Ich dachte beiläufig an eine wichtige Konferenz, zu der dieser, wie ich vermutete, akademisch gebildete Mensch vielleicht geladen sein könnte und daran, dass so aus seiner Teilnahme nichts würde. Dann wurde die Einfahrt des Zuges Leipzig-Köln gemeldet, in den der Gast gestiegen wäre, hätte ihm das Gericht Nr. 20 nicht die Abfahrtzeit vermasselt. Der Herr schmiss sein Besteck zur Seite, erhob sich vom Stuhl und startete auf mich einen lautstarken, mündlichen Angriff. Er machte mich dafür verantwortlich, dass er seinen Zug verpasst habe. Er warf mir vor, dass ich mich viel zu lange bei der Vorrede aufgehalten hätte, wo er doch eindeutig Spaghetti mit Tomatensauce verlangt habe und nichts weiter. Unter anderem beschuldigte er mich, dass die Speise kalt serviert worden sei. Da ich ungläubig dreinschaute, forderte mich der Gast sogar auf, die Temperatur zu prüfen, indem ich das Übriggebliebene kostete. Zwar war ich nicht mehr der blutige Anfänger, aber ich schaute verlegen in die Runde. Die Pallhuber kam mit ihren eisenbeschlagenen Pumps anmarschiert und gab mir Schützenhilfe. Dabei stemmte sie ihre Arme in die Seite und baute sich vor dem Herrn mit dem saucenbekleckertem Hemdkragen auf. »Noch‘n Wunsch?«, fragte sie, als sei nichts gewesen, »mir ham frischen Appelschtrutel am Larer!« Sie führte eine Art diplomatischen Gegenangriff auf hochsächsisch. Der Gast schaute auf die Gaststättenuhr, die synchron mit der Bahnhofsuhr lief. Frau Pallhuber tippte mit ihrem Zeigefinger auf das Zifferblatt ihrer Armbanduhr: »Meine Uhr steht ooch off sieben Minuten nach Einse, wie de Bahnhofsuhr! Dor nächste Zuch nach Göln fährt in zwee Stund‘n – hamm Se noch’n büsch’n Zeit!« Der Gast war perplex. »Odder möcht’n Se schonn zahl‘n?«, fragte Frau Pallhuber. Der Gast durchsuchte seine Taschen, um nach der Geldbörse zu suchen ohne Erfolg! »Hat‘s Ihnen nich geschmeckt?« fragte die Chefin nun, obwohl diese Frage in diesem Moment höchst unpassend war. Der Gast verdrosch sich förmlich, indem er sich von oben bis unten abklopfte, um nach seiner Börse zu suchen. Natürlich hatte ich keinen Zechpreller vor mir, darüber war ich mir im Klaren! »Ham Se‘n Ausweis dabei?«, fragte ich den Gast. Dieser bejahte. Jetzt lobte er sein bestelltes Gericht über den Klee, obwohl er kaum etwas in den Mund bekommen hatte und verwies besonders auf die angenehme Gastlichkeit im Bahnhofsstübchen. Und es gab außerdem das Prädikat »sehr gut« betreffs meiner Zuvorkommenheit. »‘S war’n besschen viel da oof dem Teller, war jut jemeint, natörlisch! Bei der Rückreise schaue ich wieder mal rein un bejleiche meine Schold, nech?«

    Was Trinkgelder betraf, war ich immer ehrlich, denn ich legte das, was mancher Gast großzügigerweise fallen ließ, abends während der Abrechnung auf den Tresen. Ich erweckte Eindruck bei der Chefin, weil ich nie fragte, was damit würde. Sie schob mir immer drei bis vier DM zurück, so dass ich auf einen Zusatzverdienst von mindestens 120 DM pro Monat kam.
    Am nächsten Morgen meldete sich Frau Pallhuber für fünf Tage ab. Sie versprach mir, eine Aushilfskraft beizustellen. Zum Schluss war es nur ein Barkeeper, der mir bei Hochkonjunktur unter die Arme greifen sollte. Wenigstens fielen die nervenzerrüttenden nächtlichen Saufrunden der Stammkunden flach,

Weitere Kostenlose Bücher