Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
bald so weit, Mr Estover?«, fragte er.
»Noch eine Minute bitte«, sagte Toby.
Medler warf mir einen Blick zu. Was er in meinem Gesicht sah, schien ihm zu gefallen.
Er setzte sein selbstgefälliges Lächeln auf und sagte: »Okay. Eine Minute.«
Dieses Lächeln reizte mich derart, dass ich die nächste Dummheit beging. Für mich schien es zu sagen: Jetzt kapierst du allmählich, dass wir dich am Arsch kriegen!
Ich sagte zu Toby: »Gib mir dein Handy.«
Er fragte: »Wieso?«
Ich sagte: »Nun gib schon her, verdammt!«
In dem Porträt, das der Observer über mich veröffentlichte, als mir die Ritterwürde verliehen wurde, war von meiner, wie sie es nannten, schonungslos harschen Art die Rede. Als ich den Entwurf las, rief ich bei der Zeitung an und bat den Feuilletonisten – höflich, wie ich meinte –, er möge diese Formulierung doch etwas abmildern. Nachdem ich ein paar Minuten mit dem Mann gesprochen hatte, sagte er: »Einen Moment. Würden Sie sich das bitte anhören?« Und er spielte mir eine Aufnahme von dem vor, was ich gerade gesagt hatte.
Anschließend sagte ich: »Du liebe Zeit. Drucken Sie Ihren Artikel so, wie er ist. Und schicken Sie mir eine Kopie von der Aufnahme.«
Danach versuchte ich wirklich, mein Auftreten zu mäßigen, aber es war nicht leicht. Ich zahlte meinen Angestellten Spitzengehälter, und ich hatte keine Lust, irgendwas zu wiederholen, was ich ihnen sagte. Das galt auch für Anwälte, selbst wenn ich zufällig mit ihnen befreundet war.
Ich streckte Toby auffordernd die Hand hin. Er zögerte ein paar Sekunden, doch schließlich rückte er sein Handy raus.
Ich wählte die Notrufnummer.
Als die Zentrale fragte: »Welche Dienststelle?«, sagte ich: »Polizei.«
Tobys Augen weiteten sich.
Als er hörte, was ich als Nächstes sagte, grenzte es an ein Wunder, dass sie ihm nicht aus den Höhlen quollen.
»Das Oberste Gericht des Volksdschihad hat gesprochen. Im Amtsgericht West End ist eine Bombe. In dreieinhalb Minuten werden alle dort versammelten Ungläubigen ihren verfluchten Ahnen in den Feuern der Hölle begegnen. Allahu Akbar! «
Tobys Gesicht wurde grau.
»Um Gottes willen, Wolf, du kannst doch nicht …«
»Sei still«, sagte ich und steckte das Handy ein. »Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie gut diese neuen Antiterrormaßnahmen funktionieren.«
Ziemlich gut, das muss ich zugeben.
Nach nicht mal einer Minute hörten wir die ersten hektischen Geräusche vor der Tür.
Toby sagte: »Das ist doch Wahnsinn. Wir müssen ihnen sagen, dass …«
Ich knuffte ihn fest in die Magengrube.
Das hatte einen doppelten Zweck. Es verschlug ihm die Sprache, und als die Tür aufging und Medler sagte: »Kommen Sie, wir müssen hier raus«, konnte ich ihm antworten: »Mr Estover fühlt sich nicht gut. Ich glaube, wir sollten einen Arzt holen.«
»Nicht hier, draußen!«, befahl Medler.
Ich schlang mir einen Arm von Toby über die Schulter und begann, ihn Richtung Tür zu bugsieren. Ich blickte Medler flehend an. Er sah unwillig aus, aber er zögerte nicht, das muss man ihm lassen. Er hängte sich den anderen Arm um, und wir schlossen uns der Menschenflut an, die den Flur hinunter Richtung Ausgang strömte.
Es ist nicht leicht, Menschen zur Eile zu drängen, ohne eine Panik auszulösen, und ich finde, die Polizisten und Gerichtsbeamten machten ihre Sache sehr gut. Aber natürlich wissen die Letzten, die die Meldung erreicht, nur allzu gut, dass eine große Menschenmenge zwischen ihnen und der Sicherheit ist, und sie möchten, dass sich diese Menge sehr viel schneller bewegt, als sie es dem Anschein nach tut. Zwei Männer, die zusammen einen dritten mitschleifen, bilden ein ziemlich störendes Hindernis, und als die Eingangshalle in Sicht kam, musste ich einfach nur aufhören, mich gegen den wachsenden Druck von hinten zu stemmen, um von der Flut Richtung Ausgang mitgerissen zu werden.
Ich weiß nicht, wann Medler merkte, dass ich nicht mehr bei ihm war. Ich blickte mich nicht um, sondern stürzte aus dem Gebäude ins Sonnenlicht, wo ich plötzlich vor einem Constable stand, der mich anschrie. Einen kurzen Moment lang dachte ich, meine Flucht wäre schon wieder zu Ende. Dann begriff ich, was er da schrie: »Weg von dem Gebäude! Laufen Sie!«
Ich lief. Alle liefen. Ein Hochgefühl stieg in mir auf. So muss es sich anfühlen, wenn man zu einem Marathon startet, dachte ich. Nach monatelangem Training ist endlich der Moment gekommen, um die eigene Fitness auf die Probe zu
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