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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ihre Brüste weder verbarg noch betonte. Kleiden Sie sich nicht provokativ , hatte der Direktor ihr geraten, als sie ihre Stelle antrat. Aber Überkompensation bringt auch nichts. Sie könnten in einer Burka aufkreuzen, und die würden Sie im Geist immer noch ausziehen .
    Zog Hadda sie im Geist aus?, fragte sie sich. Bis zu ihrer letzten Sitzung hätte sie gesagt, nein. Aber was dann passiert war, hatte sie in den ganzen sieben Tagen, die seitdem vergangenen waren, nicht mehr losgelassen.
    Es hatte ganz normal angefangen. Sie saß bereits auf ihrer Seite des nackten Holztisches, als die Tür auf der gesicherten Seite des Besucherraums aufging. Officer Lindale, jung und mitfühlend, hatte gelächelt und ihr zugenickt und dann einen Schritt zur Seite gemacht, um Wilfred Hadda eintreten zu lassen.
    Er kam schwerfällig hereingehinkt und setzte sich auf den schlichten Holzstuhl, der irgendwie immer zu klein für ihn wirkte. Ihre fantasievolle Vorstellung, sein Lächeln wäre wie winterliches Sonnenlicht auf einem Berg, rührte wahrscheinlich von der Stille her, die von ihm ausging, wie von einem Berg. Einem zerklüfteten Berg, dessen Antlitz die Narben längst vergangener Stürme trug und dessen Scheitel vom gräulichen Weiß alter Schneefelder durchzogen war.
    Ihre erste Begegnung lag gut ein Jahr zurück, und obwohl sie zusätzlich zu der Akte von Joe Ruskin, ihrem Vorgänger in Parkleigh, auch eigene Recherchen angestellt hatte, wusste sie noch immer nicht viel mehr über Hadda. Ruskins Akte war ihrer Ansicht nach das Eingeständnis eines Scheiterns. Alle seine Dialogversuche waren schlichtweg ignoriert worden, weshalb der Psychiater schließlich zu der Einschätzung gelangt war, der Häftling sei depressiv, aber stabil und eine Zwangsmedikamentierung wäre nur bei deutlichen Verhaltensänderungen anzuraten.
    Alva Ozigbo hatte die Akte mit wachsendem Unmut gelesen. Das System, so ihr Eindruck, hatte Hadda aufgegeben, es ihm überlassen, seine Vergangenheit zu bewältigen, und er hatte sich dafür entschieden, seine Haftstrafe wie eine Art Winterschlaf zu behandeln.
    Die Sache hatte nur einen Haken: Wenn Fledermäuse, Igel oder Eisbären aus dem Winterschlaf erwachten, waren sie wieder ganz sie selbst.
    Hadda, so las sie, hatte keine seiner Straftaten je gestanden, aber im Unterschied zu den anderen Häftlingen legte er auch keinen Wert darauf, seine Unschuld zu beteuern. Seiner Gefängnisakte nach prallten verbale Beleidigungen einfach an seiner kolossalen Gleichgültigkeit ab. Die Einzelhaft im Sondertrakt hatte ihn im Großen und Ganzen vor tätlichen Angriffen durch Mitgefangene bewahrt, aber bei den wenigen Malen, als es aufgrund der hoffentlich rein zufälligen Unachtsamkeit der Wärter doch zu einem Angriff gekommen war, hatte er so blitzartig und brutal reagiert, dass nicht er, sondern die Angreifer im Krankenhaus gelandet waren.
    Aber das war in der Anfangszeit gewesen. Bis zu Alvas Einstellung im Januar 2015 war er aus Sicht des wohl am traditionellsten denkenden Schließers überhaupt, Chief Officer George Proctor, fünf Jahre lang ein Bilderbuchhäftling gewesen, der nie Ärger machte und immer tat, was man ihm sagte.
    Dem Chief Officer, einem wohlbeleibten Mann mit einem runden rötlichen Gesicht, das trügerischerweise an eine gemütlich-komische Figur in einem Dickens-Roman denken ließ, war Menschlichkeit keineswegs fremd, aber im Strafvollzug kam sie auf seiner Prioritätenliste erst ein gutes Stück hinter Ordnung und Disziplin. Daher war Alva verblüfft, als er seine Einschätzung von Hadda mit den Worten schloss: »Mir ist schleierhaft, was der hier zu suchen hat.«
    »Aber er ist wegen sehr schwerer Straftaten verurteilt worden«, sagte sie.
    »Ja, und der Schweinehund sollte auch lebenslang eingesperrt bleiben«, sagte Proctor. »Aber schauen Sie sich doch mal um, Miss. Wir haben hier Terroristen und Staatsfeinde und Serienmörder, das übelste Gesindel. Dafür ist der Laden hier gedacht. Hadda hat doch keinem richtig was zuleide getan.«
    Letzterem hätte Alva normalerweise heftig widersprochen, aber sie hatte schon zu viel Zeit damit vertan, gegen Proctors knochenharte Schale aus gängigen Überzeugungen und übernommenen Gewissheiten anzurennen. Außerdem wusste sie, wie leicht es für ihn wäre, ihr die Arbeit noch schwerer zu machen, als sie ohnehin schon war; ihre Tête-à-Têtes, wie er es nannte, aber wie Tit-a-Tits aussprach, und zwar mit einem ausdruckslosen Gesicht, das jeder Korrektur

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