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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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fragte McLucky. »In den Wald gehen und noch mehr Bäume fällen?«
    »Wie gesagt, was man als Kind gelernt hat, vergisst man nie«, sagte Hadda.
    McLucky pickte mit dem Zeigefinger ein paar Krümel von seinem Teller und fragte: »Wie spät ist es?«
    Hadda sah auf seine Uhr. Als er wieder aufblickte, war der Umschlag verschwunden.
    »Ich glaube, den Zug haben Sie verpasst«, sagte er.
    »Kein Problem. In einer Stunde geht der nächste. Gibt es für die Sache ein Zeitlimit?«
    Hadda schüttelte den Kopf.
    »Ich will vor allen Dingen gute Arbeit. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Den ganzen Winter, falls nötig.«
    »Den ganzen Winter«, echote der Schotte. »Und was werden Sie den ganzen Winter über tun, Mr Hadda?«
    »Meine Axt schärfen«, sagte Wolf Hadda.

3
    Imogen Estover erwachte und blieb still liegen. Sie versuchte herauszufinden, was sie geweckt hatte.
    Alte Gebäude haben ihre eigene Sprache, die für den Eingeweihten ebenso vielsagend ist wie der Gesang der Wale oder das Geheul von Wölfen. Imogen konnte nahezu jedes Seufzen und Knarren des Hauses in Holland Park deuten. In den zwei Jahrzehnten, seit sie und Wolf Hadda hier eingezogen waren, hatte sie genug Zeit gehabt, das zu lernen.
    Toby Estover hatte es verkaufen wollen. Es war eigenartig, hatte sie zu ihm gesagt, dass ein Mann, der keinerlei Skrupel hatte, von der Frau seines Freundes Besitz zu ergreifen, davor zurückscheuen sollte, das Haus seines Freundes in Besitz zu nehmen. Sie liebte das Haus und sah keinen Grund, es zu verlassen.
    Also waren sie geblieben. Es hatte einige Veränderungen gegeben. Wolf hatte gewusst, was ihm gefiel, und sein Geschmack hatte sich im Haus ebenso niedergeschlagen wie der seiner Frau. Schon längst waren alle Spuren seiner rauen Männlichkeit verschwunden, und da Toby keinerlei Interesse daran zeigte, seine eigenen Duftmarken zu hinterlassen, duftete es jetzt nur noch nach Imogen.
    Toby rollte sich schwerfällig neben ihr herum und warf einen Arm über ihre Brust.
    Er wurde allmählich fett, dachte sie. Sie wusste, dass Wolf körperlich verändert war. Sie hatte ihn während des Prozesses gesehen. Sein Gesicht, seine Hand, sein Bein. Und die Jahre der Haft waren zweifellos auch nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Aber er würde niemals zulassen, dass er übergewichtig wurde, da war sie sich ganz sicher.
    Ob sie ihn immer noch so unwiderstehlich attraktiv finden würde wie damals? Er hatte versucht, zu beschreiben, welche Wirkung sie auf ihn gehabt hatte, als er sie zum ersten Mal auf dem Rasen vor dem Schloss hatte tanzen sehen. Sie hingegen hatte ihm weder damals noch später erzählt, welche Wirkung er auf sie gehabt hatte. Anziehungskraft auszuüben war Macht. Anziehungskraft zu empfinden war Schwäche. Das Leben war ein Kampf, wenn man sich seinen Gefühlen auslieferte. Das hatte sie von ihrer Mutter gelernt.
    Inzwischen hatte sie herausgefunden, was sie geweckt hatte. Es war ein ferner Klang, sehr regelmäßig, eine Mischung aus dumpfem Schlagen und Krachen. Das Geräusch wirkte vage vertraut, ohne dass sie es zuordnen konnte.
    Sie schob den Arm ihres Mannes weg und schlüpfte aus dem Bett.
    Toby murmelte: »Was ist?«
    Sie antwortete nicht, sondern ging zur Tür. So schwach, wie das Geräusch war, konnte es nicht von der Straße unter ihrem Schlafzimmerfenster kommen. Im Flur hörte sie es viel deutlicher. Sie blickte zu dem hohen Bogenfenster hinüber, das sich vom ersten Stock bis hinunter zum Treppenabsatz erstreckte. Es ging auf den Garten hinaus, und sie war sicher, dass das Geräusch von dort kam. Um näher an das Fenster ranzukommen, musste sie die Stufen bis zum Treppenabsatz hinuntersteigen. Als sie sich vorwärts bewegte, spürte sie die kalte Luft, die ihren nackten Körper liebkoste. Wenn es nach Toby gegangen wäre, liefe die Zentralheizung den ganzen Winter über auf höchster Stufe. Sie hatte ihm gesagt, er solle sich Bettschuhe und ein warmes Nachthemd anziehen.
    Sie erreichte den Treppenabsatz und schaute hinaus in den Garten.
    Es war eine trübe Nacht. Feuchter Dunst hing in der Luft, so dicht, dass er stellenweise sogar das unaufhörliche Dämmerlicht der schlafenden Metropole auslöschte. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit da draußen und konnten erste Formen ausmachen, Bewegungen erkennen.
    Eine große Form – die alte Eberesche.
    Eine kleinere Form – eine Gestalt, die daneben stand.
    Und jetzt eine Bewegung.
    Über dem Kopf der Gestalt

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