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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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reflektierte irgendetwas das bisschen Licht, das zwischen den Dunstschleiern hing. Hell, metallisch, schnell.
    Dann ertönte das Geräusch. Jetzt war es unverkennbar. Wie oft hatte sie es nicht auf den Ländereien ihres Vaters gehört?
    Das Geräusch von scharfem Stahl, der tief in Holz eindringt.
    Sie erinnerte sich, wie die Eberesche stolz zwischen den eintönigen Nadelbäumen im Wald von Ulphingstone gestanden hatte, viel kleiner als diese fremden Invasoren, aber groß für ihre Art und viel heller. Der Baum war einer ihrer liebsten Treffpunkte gewesen, damals, in jenem verrückten ersten Jahr, als sie gemeinsam in der freien Natur umhergestreift waren, sich an Berghängen und im Wald geliebt hatten, wann immer sie die Lust überkam. Und die Lust war oftmals so stark gewesen, dass sie den Schatten der Eberesche gar nicht erst verließen, sondern gleich dort übereinander herfielen.
    Als Wolf von seinem Vater erfahren hatte, dass dieser Teil des Waldes abgeholzt werden sollte, und ihm klar wurde, dass die Eberesche zusammen mit ihren hochgewachsenen Nachbarn unweigerlich der Axt zum Opfer fallen würde, hatte er »Niemals!«, gesagt und ungeachtet der horrenden Kosten seinen Lieblingsbaum samt Wurzeln ausgraben und dreihundert Meilen weit hierher in ihren Londoner Garten transportieren lassen, wo sie ein neues Leben beginnen sollte.
    Trotz Fred Haddas Behauptung, das Ganze wäre eine irrsinnige Geldverschwendung und der Baum würde keine zwei Wochen überleben, hatte die Eberesche gegrünt und geblüht und Früchte getragen. Imogen erinnerte sich, wie unwiderstehlich die leuchtend roten Beeren für ihre Tochter Ginny gewesen waren. Der bittere Geschmack hatte sie nicht abgeschreckt, und sie hatte sie so lange in sich hineingestopft, bis ihr schlecht wurde. Großvater Fred hatte gelacht, als die Kleine ihm die Geschichte erzählte, und ihr versichert, dass es früher bei ihnen zu Weihnachten niemals einen Gänsebraten ohne einen ordentlichen Schlag Ebereschengelee von seiner Tante Carrie gegeben hatte. Danach hatte Ginny nicht eher Ruhe gegeben, bis sie ein Rezept gefunden hatten, doch bis dahin hatten die Vögel schon alle Beeren aufgefressen. Aber im nächsten Herbst hatte Ginny sich daran erinnert und unter Anleitung von Mrs Roper die Beeren mit Apfelscheiben und Nelken und gemahlenem Zimt gekocht, und einige Stunden später war sie triumphierend zu ihrer Mutter gerannt gekommen und hatte ihr ein kleines Glas mit einem, wie sich herausstellte, erstaunlich schmackhaften Gelee präsentiert.
    Von da an war es ein jährliches Ritual, und das Gelee wurde bis zum Weihnachtstag aufbewahrt. Als sie Weihnachten in Cumbria feierten, erklärte Sir Rowan, das sei das beste Ebereschengelee, das er je gegessen habe, und sogar Lady Kira verglich ihn wohlwollend mit dem Holzapfelkompott, das in ihrer Familie zum festtäglichen Spanferkel gereicht wurde. Alle hatten über das kleine Mädchen geschmunzelt, das angesichts solchen Lobs vergeblich versuchte, bescheiden zu wirken, und für einen kurzen Augenblick hatten sie sich wie eine richtige Familie gefühlt, in der alle ein Herz und eine Seele waren.
    Alles nur wegen der blutroten Beeren von derselben Eberesche, die da jetzt von jemandem gefällt wurde.
    Sie holte tief Luft.
    Als hätte die Gestalt das Geräusch gehört, hielt sie inne, drehte sich um und schaute zum Haus herüber. Doch in der trüben Luft konnte Imogen das Gesicht des Mannes, wie sie vermutete, nicht erkennen. Sie hatte das Gefühl, als starrte er sie direkt an, aber wenn sie ihn nur undeutlich erkennen konnte, musste es ihm unmöglich sein, sie überhaupt zu sehen.
    Langsam hob er den rechten Arm, streckte ihn aus, legte die flache Hand gegen den Baumstamm und drückte.
    Im selben Moment ertönte Tobys mürrische Stimme: »Verdammt, hier ist es ja kalt wie im Kühlschrank. Imo, was machst du denn?«
    Das Flurlicht ging an und ließ den Garten vor ihren Augen verschwinden.
    Sie wusste, dass der Mann im Garten jetzt ihre nackte Silhouette im Fenster sehen konnte, aber sie rührte sich nicht.
    Erneut war draußen ein Geräusch zu hören, es klang diesmal anders, kein einzelner kurzer Laut, sondern ein lang gezogenes, knarrendes, reißendes Geräusch, begleitet von einer Mischung aus Ächzen und Krachen, bis das Ganze in einem einzelnen dumpfen Schlag endete.
    Dann Stille.
    »Toby«, sagte sie ruhig, »mach das Licht aus.«
    »Was? Ach so, ja klar. Was zum Teufel ist eigentlich los?«
    Das Licht ging aus.
    Es

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